Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maedchenjagd

Maedchenjagd

Titel: Maedchenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Taylor Rosenberg
Vom Netzwerk:
fröhliches Lächeln, das seine ebenmäßigen weißen Zähne in seinem gebräunten und kräftigen Gesicht zur Schau stellte. Jetzt allerdings war sein Gesichtsausdruck unfreundlich und ohne den bewundernden Blick, den er sich für seine Tochter vorbehielt.
    »Hast du’s doch geschafft, hä?« Er schob die Baseballmütze nach hinten. »Hast dich davongestohlen, um die letzten fünf Minuten des Spiels zu erleben. Bist du sicher, dass du nichts Wichtiges im Büro verpasst? Nicht, dass die Familie dir womöglich im Weg steht bei deinem ehrgeizigen Ziel, Richterin zu werden.«
    »Das ist ungerecht«, sagte Lily und sah sich um, ob jemand in Hörweite war. »Ich nehme Shana in meinem Auto mit.« Sie wandte sich ab und stapfte durch den Staub Richtung Spielerbank.
    Shanas Gesicht war rot vor Aufregung. Sie war um fast einen Kopf größer als die anderen Mädchen. In ihrem langen roten Haar zeigten sich mehr Goldtöne als bei Lily, und sie hatte es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, den sie hinten durch die Baseballmütze gezogen hatte. Die weit auseinanderliegenden Augen waren tiefblau, beinahe so dunkel wie die marineblaue Schrift auf ihrem Trikot. Die hohen, ausgeprägten Wangenknochen gaben ihrem Gesicht eine ätherische Anmut, die für ihr Alter ungewöhnlich war. Mit dem entsprechenden Make-up, der richtigen Kleidung und einem professionellen Fotografen könnte Shanas Gesicht die nächste
Glamour
-Ausgabe zieren, dachte Lily.
    Ein Mädchen folgte Shana, als sie sich auf den Weg zum Auto machte. »Ruf mich in dreißig Minuten an«, sagte Shana zu ihr. Von dem Moment an, da sie zu Hause waren, würde das Telefon in ihrem Zimmer den ganzen Abend hindurch klingeln; mit jedem Mädchen war eine Zeit vereinbart worden. »Oh, das ist meine Mom. Mom, das ist Sally.«
    Sally stand mit offenem Mund vor ihnen. »Ihr seht euch so ähnlich. Das ist ja nicht zu fassen.«
    Shana stieg in das Auto und schlug mit einem feindseligen Blick auf ihre Mutter die Tür zu. Lily wurde das Herz schwer. Shana war immer stolz darauf gewesen, dass sie sich so sehr ähnelten. Sie hatte ihr erzählt, dass ihre Freunde Lily für hübsch hielten. Lily musste daran denken, wie sie an ihr hochgeblickt und gefragt hatte, ob sie selbst später auch so groß sein würde. Letzte Woche aber hatte Shana sie angebrüllt, dass sie wie eine Giraffe aussehe, sie sei die Größte an der ganzen Schule, und hatte ihre Tirade damit beendet, dass sie sagte, es sei alles Lilys Schuld.
    Lily bemühte sich, dass ein Gespräch in Gang kam. »Das waren ein paar beeindruckende Schläge eben. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr von dem Spiel mitbekommen habe. Ich habe mich beeilt, aber der Verkehr …« Shana starrte geradeaus und verweigerte jede Antwort. Es würde wieder einmal einer dieser Tage werden, die nur mit Streit enden konnten. »Wie war die Schule?«
    »Okay.«
    »Habt ihr viele Hausaufgaben?«
    »Schon fertig.«
    »Wollen wir am Samstag zum Rollschuhfahren gehen?«
    »Ich gehe jeden Tag zum Softballtraining und habe Turnen an der Schule. Ich brauche nicht noch mehr Sport.«
    »Wie steht’s mit Shoppen? Wollen wir ins Einkaufszentrum fahren?«
    »Ich dachte, ich habe Hausarrest.« Wieder warf sie Lily einen Blick voller Feindseligkeit zu. »Können Charlotte und Sally mitkommen?«
    »Nein, ich möchte etwas mit dir allein unternehmen, nicht mit Charlotte und Sally. Wo ist übrigens mein Top, das du Charlotte ohne meine Erlaubnis geliehen hast?«
    »Reg dich nicht auf. Du kriegst dein heißgeliebtes Top schon zurück. Ich hab’s vergessen. Krieg dich wieder ein, Mom.« Beim letzten Satz wurde ihre Stimme schrill. Dann veränderte sich etwas. Sie wandte sich mit einem süßlichen Lächeln an ihre Mutter und sagte mit schmeichelnder Stimme: »Ich brauch was zum Anziehen. Nächste Woche gibt es eine Disco in der Turnhalle, und alle gehen hin.«
    Da wären wir wieder, dachte Lily. Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Vor lauter Verzweiflung hatte sie sich in letzter Zeit zu etwas herabgelassen, das sie eigentlich verabscheute. Sie hatte Shana Geschenke gemacht, nur um ein Lächeln zu bekommen. Als Mutter war sie völlig inkonsequent. An einem Tag versuchte sie, ihre langjährigen Grundsätze durchzusetzen, am nächsten schon brach sie ihre eigenen Regeln. Um mit John mitzuhalten, musste sie nach neuen Regeln spielen, nach seinen Regeln. Seine Methode war, Shana alles durchgehen zu lassen, was sie wollte. »Ich habe dir erst vor zwei Wochen einen

Weitere Kostenlose Bücher