Maedchenlose
gerade die kleinen Züge einem Bilde Leben und Ausdruck gäben. Das wirst Du längst bemerkt haben, daß Herr v. Rothenburg hier im Hause eine bedeutende Rolle spielt; man nimmt sehr viel Rücksicht auf ihn, wozu seine Stellung wohl einiges beiträgt. Mir ist er anziehend, weil er sein und klug ist; er ist viel gereist, hat viel gesehen und gelesen und weiß sehr hübsch davon zu sprechen. Unter den jungen Herren, die ich hier zuweilen sehe, glänzt er als ein Muster der feinsten Form, und sein vorteilhaftes Aussehen trägt natürlich zu demangenehmen Eindruck bei. Ich könnte es mir sehr hübsch denken, solch einen Bruder zu haben.
Den 13. Juli.
Eben habe ich einen Brief von Nora erhalten und muß zu Dir eilen, geliebte Mama, um Dir davon zu erzählen. Ich bin ganz erfüllt davon und kann mich doch gegen niemand darüber aussprechen. Sie schreibt: Vor ein paar Tagen hatten wir einen Besuch, der uns zuerst in einiges Erstaunen versetzte: Regierungsrat Freyenstein stellte sich uns als Bekannter des Lindenhorster Hauses vor und brachte uns Grüße von Dir und Klingemanns. Wir haben sonst wenig Beziehungen zu den Beamtenkreisen, und sein Zusammenhang mit den lieben Verwandten scheint auch kein besonders enger zu sein, so daß ich mir vergebens den Kopf zerbrach, was ihn eigentlich bewogen habe, uns aufzusuchen. Doch erwies sich die Bekanntschaft als eine so anziehende, daß ich bald aufhörte, zu grübeln, und mich gern dem angenehmen Eindruck seiner Persönlichkeit überließ. Er scheint hier sehr fremd zu sein, hat uns schon mehrere Male besucht und einen Ausflug mit uns gemacht. Ich freue mich immer, wenn ich jemandem, der Sinn für die Natur hat, die Honneurs unserer schönen Umgegend machen kann. Herr Freyenstein erzählte, er habe eine Zeitlang als Assessor in M. gearbeitet, es muß gerade damals gewesen sein, als ich in Eurem Hause war, und wir tauschten mit Vergnügen unsere Eindrücke von dem lieben Städtchen aus.
Siebentes Kapitel
Große Pläne
Den 14. Juli.
Wir haben Frau Klingemanns Geburtstag heute still und einfach begangen, nur der Morgen trug ein festliches Gepräge. Schon am Abend vorher hatten wir eine Menge von Kränzen geflochten und damit die Veranda und das Grab des verstorbenen Sohnes ausgeschmückt, denn der erste Gang der lieben Frau an diesem Tage gilt dieser Stätte, niemand als ihr Mann darf sie begleiten. Als die beiden von ihrer stillen Trauerfeier zurückkehrten, standen wir andern alle im Wohnzimmer bereit und empfingen sie mit dem Gesänge: O, wie selig seid ihr doch, ihr Frommen, die ihr durch den Tod zu Gott gekommen. Nach der Betrachtung sangen wir, Tante Emma, Rose und ich, das Engelterzett aus dem Elias: Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von denen dir Hilfe kommt.
Wir hatten es sehr sorgfältig einstudiert, und ich glaube, es klang recht gut. Nun sprachen die Kinder ihre Gedichte, die Fräulein Lietzner und ich gemeinschaftlich zustandegebracht hatten, und überreichten ihre Geschenke; auch wirbrachten unsere herzlichen Glückwünsche dar, und mit ihrer rührenden, sanften Freundlichkeit dankte die teure Frau jedem für seine Liebe, während doch eine unverkennbare Wehmut über ihrem ganzen Wesen lag. Die Mittagstafel war sonntäglich geschmückt, die Herren kamen in feierlichem Zuge zur Gratulation, sonst verlief der Tag wie alle andern. Bruno zuliebe wurde an eine Spazierfahrt nicht gedacht; der arme Bursche hätte ja doch zu Hause bleiben müssen, und dann hätte seine Mutter sicher kein Vergnügen daran gehabt.
Nach der Vesper bat Dr. Kron um die Erlaubnis, uns einen Vortrag über polnische Dichter halten zu dürfen; sie wurde mit Freuden gewährt, und er hielt eine wunderhübsche kleine Vorlesung, die mir ganz neue Gebiete der Litteratur eröffnete. Die eingestreuten Übersetzungen fanden so viel Beifall, daß ich Mühe hatte, jeden Ruhm von mir ab- und dem Dichter zuzuwenden, dem er doch allein gebührte. Unter der allgemeinen Zustimmung schoß mir plötzlich ein kühner Gedanke durch den Kopf.
»Wäre es nicht möglich, Herr Doktor,« sagte ich, »diesen Vortrag vor einem größeren Publikum gegen Entree zu halten?«
Alle Blicke kehrten sich mit höchstem Erstaunen mir zu, niemand faßte im ersten Augenblick, wo ich hinaus wollte.
»Ich habe oft daran gedacht,« fuhr ich fort, »ob es nicht möglich wäre, auf irgend eine Weise Neßlers zu einem Ersatz für die verlorene Kuh zu verhelfen; vielleicht könnte man eine Gesellschaft veranstalten, auf der den Leuten
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