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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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»Tun und Unterlassen« eine Philosophieklausur geschrieben. Meine spitzfindige Freundin Carina hatte die Ansicht vertreten, man könne einem Mitwisser nur dann einen Vorwurf machen, wenn es für ihn kein »unzumutbares Opfer« bedeute, einen Täter von seiner Tat abzuhalten. Müsste sich der Mitwisser selbst in Lebensgefahr begeben oder ein anderes großes Opfer bringen, könne man ihm jedoch keinen Vorwurf machen. (Und diese Frau studiert mittlerweile Jura...))
    Ich behellige Sie nur deshalb mit moralischen Überlegungen aus meiner Schulzeit, weil ich mich - seit mein Peiniger die Pistole aus der Tasche gezogen hatte - in eben jener Situation wiederfand, über die ich vor einem Jahr noch so wohlgemut philosophiert hatte. Er hatte nämlich durchaus nicht die Absicht, mich zu erschießen - wie ich im ersten Schrecken angenommen hatte -, sondern verkündete, dass er mich auf seine Flucht mitnehmen wolle. Und sollte ich versuchen, davonzulaufen oder sonst eine Dummheit zu begehen, würde er nicht mich , sondern wahllos alle Menschen erschießen, die ihm vor die Flinte liefen.
    Ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie einige Einwände erheben. Ich bin es gewohnt. Zum Beispiel werden Sie wissen wollen: Liebe Julia, Sind Sie ganz sicher, dass es sich bei der Pistole um keine Schreckschusspistole oder gar Attrappe gehandelt hat?
    Antwort: Ja, ich bin mir ganz sicher. (Und war es vom ersten Augenblick an. Es gibt Dinge, bei denen sieht man auf Anhieb, dass sie kein Fake sind.)
    Nächster Einwand: Weshalb haben Sie die Drohung Ihres Peinigers geglaubt, dass er blindlings um sich schießen würde? Bislang hatte er sich doch nur als Mädchenmörder hervorgetan, und Mädchenmörder und Amokläufer sind zwei Paar Schuhe.
    Antwort: Vielleicht sind es zwei Paar. Aber schneiden Sie von einem Stiefel den Schaft ab, und schon haben Sie einen Halbschuh.
    Dritter Einwand: Hätte es während der ganzen zehn Tage, die Ihr Peiniger mit Ihnen in Frankreich und Spanien herumfahren sollte, keine einzige Gelegenheit gegeben, ihm die Pistole zu entwinden?
    Antwort: Nein. Jedes Mal, bevor er sich schlafen gelegt hat, hat er mich gefesselt. Mit Handschellen, die er neuerdings besaß. (Woher er sie hatte, erfahren Sie gleich.)
    Vierter Einwand: Hätte es nicht dennoch eine Situation gegeben, in der Sie hätten entwischen können, um schnell die Polizei zu verständigen?
    Antwort: Nein. Vielleicht wäre es möglich gewesen, wenn er an einer einsamen Landstraße den Autositz zurückgeklappt hätte, um ein Nickerchen zu machen, und just in diesem Moment eine Polizeistreife vorbeigefahren wäre. Dies war aber leider nicht der Fall. Und in allen anderen Situationen war mir das Risiko zu groß, dass es zu lange dauern würde, bis die Polizei tatsächlich eingriff. Wer weiß, wie viele Kassierer, Bustouristen, Urlaubsfamilien, Fernfahrer und andere unschuldige Menschen in einem Hotel, an einer Raststätte oder in einem Supermarkt hätten sterben müssen, wenn ich etwas Unvorsichtiges getan hätte.
    Das sind alle Einwände, die mir einfallen. (Und die ich mir ja auch schon hundertmal habe anhören müssen.) Ich hoffe, Sie begreifen, dass er mich tatsächlich in seiner Gewalt hatte - ohne dass er mir dafür vierundzwanzig Stunden am Tag die Pistole hätte an die Schläfe halten müssen. Alle Geschichten, die irgendein wichtigtuerischer Tankstellenwart oder Hotelpatron erzählt hat, er habe mich mit meinem Peiniger »ganz entspannt herumlaufen« sehen, rühren einzig und allein daher, dass diese »Augenzeugen« keine Ahnung hatten, was unter der Jeans- beziehungsweise Lederjacke steckte, die er auch im heißesten Andalusien nicht ablegte. (Vielleicht hätten sie sich mal fragen sollen, warum dieser Mann selbst bei dreißig Grad im Schatten seine Jacke nicht auszog - aber so viel Misstrauen an der richtigen Stelle ist offenbar zu viel verlangt.) Und ja: Ich hätte mehr als ein Dutzend Mal die Chance gehabt, mich in Sicherheit zu bringen, meine eigene Haut zu retten, wenn ich darauf gepfiffen hätte, was anschließend passieren würde. Dafür, dass ich es nicht getan habe, erwarte ich nicht, dass man mir den Friedensnobelpreis verleiht. Ich erwarte lediglich, dass dieses ständige Misstrauen gegen meine Person aufhört!
     
     
    Jetzt bin ich doch wieder ausgerastet. Entschuldigen Sie. Meine Tinka, die den ganzen Tag unter meinem Schreibtisch liegt, hat gleich gespürt, dass sich etwas zusammenbraut. Während ich die letzten Zeilen in den Laptop gehackt

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