Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
entscheidend damit zu tun, dass Serientäter in Europa bislang nicht genügend »Spielfläche« gehabt hätten. Zwischen Aachen und Sevilla jedoch ließ sich eine Killing-Tour noch besser veranstalten als zwischen Miami und Los Angeles. (Andererseits halte ich es für übertrieben, sollte unser Innenminister tatsächlich gefordert haben, dass die zuständigen Stellen in Brüssel meine Geschichte zum Anlass nehmen, das Schengener Abkommen in Frage zu stellen.)
    Kurz vor Reims näherten wir uns einer großen, hell erleuchteten Péage -Station, an der mein Peiniger bezahlen musste. Während ich ihm das Ticket reichte, schärfte er mir noch einmal ein, auf keine dummen Gedanken zu kommen. Die zehn oder zwölf Kassierer und Kassiererinnen seien schneller abgeknallt, als ich » Au secours! « schreien könne. Ganz zu schweigen von den Autofahrern, die nichts anderes vorhatten, als brav ihre Gebühren zu bezahlen. (In Wahrheit waren um diese Uhrzeit allerdings nur sehr wenige Autos unterwegs.)
    Bevor wir das Kassenhäuschen erreichten, strich ich mir die Haare ins Gesicht und schaute aus dem Beifahrerfenster. (Ob sich die Péage -Kassierer nördlich von Reims jemals darüber Rechenschaft abgelegt haben, dass ich ihnen in jener Nacht das Leben gerettet habe?) In der Ferne sah ich die beiden angestrahlten Türme der Kathedrale. Als Kind hatte ich die Kirche drei- oder viermal besichtigt - immer, wenn wir bei unseren Familienurlauben durch die Champagne gekommen waren. (Ich habe es noch im Ohr, wie mein Vater meine Mutter - deren französische Aussprache sonst eigentlich ganz gut ist - stets damit aufgezogen hat, dass sie das nasale »äh« in »Rähns« nicht richtig herausbekam. Bei ihr hat es immer ein bisschen geklungen, als ob sie erkältet wäre. Und wie stolz war mein Vater gewesen, als ich, noch bevor ich in der Schule ein Wort Französisch gelernt hatte, das erste perfekte »Rähns« sagen konnte!)
    Mein Peiniger schien sich für gotische Kathedralen hingegen nicht zu interessieren. Jedenfalls zeigte er keine Regung, als wir an dem braunen Schild vorbeifuhren, das den unkundigen Reisenden darüber aufklärte, woran er gerade vorbeifuhr.
    Bislang habe ich mich nie getraut, es meinem Vater zu sagen: Aber im Grunde haben mich diese ewigen Kirchen und Schlösser und Museen und Tempel und all die anderen »Kulturdenkmäler«, die wir in unseren Ferien von morgens bis abends besichtigen mussten, gelangweilt. (Vater, ich weiß, Du wirst jetzt sehr enttäuscht sein. Aber es ist die Wahrheit. Auch Mutter hatte auf Deine »Kulturreisen« nicht die geringste Lust. Viel lieber wäre sie wandern gegangen. Oder mit dem Wohnmobil durch Australien gefahren. Nur aus Angst, Du würdest sie und mich verlassen, hat sie nie etwas gesagt. Dass Du es später trotzdem getan hast, war womöglich die gerechte Strafe dafür, dass keine von uns beiden je den Mut hatte, Dir gegenüber einen eigenen Willen anzumelden. Und wir stattdessen alles getan haben, um Dir zu gefallen. (Komisch: Jetzt, wo ich darüber nachdenke, merke ich, dass die Architektin sich überhaupt nicht benimmt, als wolle sie Dir gefallen. Im Gegenteil: Eher habe ich den Eindruck, Du bist plötzlich zu jeder Verrenkung bereit, um ihr zu gefallen - oder warum hast Du sonst angefangen zu joggen?!))
    Eine Weile juckte es mich in jener Nacht aber doch, meinen Peiniger zu fragen, ob er schon einmal die Kathedrale von Reims besichtigt habe. Ob er wisse, dass dort jahrhundertelang die französischen Könige gekrönt worden seien. Und dass Marc Chagall nach dem Zweiten Weltkrieg die Kirchenfenster neu gestaltet habe.
    Vielleicht hätte ich ihn sogar gefragt, wäre er nicht in diesem Moment von der Autobahn heruntergefahren. Da er die Richtung wählte, die von Reims wegführte, wurde jeglicher Verdacht, er könne es doch auf eine nächtliche Kathedralenbesichtigung mit mir abgesehen haben, sofort zunichtegemacht. Nach wenigen hundert Metern stoppte er vor dem geschlossenen Tor eines Maschendrahtzauns und befahl mir auszusteigen.
     
     
    Ich weiß nicht, ob Sie jemals in einem Plastikhotel übernachtet haben. Ich war mit diesen Schlafbatterien, die in Frankreich überall an den Autobahnen aus dem Boden sprießen, komplett unvertraut. (Wobei »aus dem Boden sprießen« wohl das falsche Bild ist, um den Neubau eines solchen Hotels zu beschreiben. Wenn ich es richtig sehe, kommen die Fertigteile auf Lastern angefahren, werden irgendwo auf der Wiese (oder im Schlamm) abgeladen und einfach

Weitere Kostenlose Bücher