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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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habe, hat sie zu bellen angefangen. (Und sie bellt nie ohne Grund.) Aber ich hoffe wirklich, dass es mir gelungen ist, Ihnen ein bisschen begreiflicher zu machen, warum ich mich an diesem Punkt so aufrege.
     
     
    Ich schulde Ihnen noch eine Erklärung, wie es überhaupt kam, dass mein Peiniger plötzlich eine Pistole hatte. (Im Folgenden muss ich mich auf das verlassen, was er mir erzählt hat, aber ich sehe keinen Grund, an seinem Bericht zu zweifeln.)
    Nachdem er am frühen Morgen des 6. September so hastig vom Campingplatz in Oudenaarde aufgebrochen war und mich zurückgelassen hatte, ist er an die Nordsee gefahren. Auch wenn mir das meiste an diesem Menschen bis heute unverständlich geblieben ist, kann ich seinen Impuls, zum Grübeln ans Meer zu fahren, nachempfinden. Außerdem bin ich später dahintergekommen, dass irgendwo an der belgischen beziehungsweise französischen Nordseeküste der Ort sein muss, an dem er das einzige Rennen seiner Karriere gewonnen hat. Vielleicht hat ihn die Rückkehr an diesen einzigen Ort, an dem er in seinem Leben jemals etwas »Großes« geleistet hatte, dazu angestachelt, abermals etwas »Großes« leisten zu wollen. Nur dass dieses »Große« diesmal kein harmloser Sieg bei einem Radrennen sein sollte, sondern etwas, worüber die Menschheit in hundert Jahren noch sprechen würde.Wenn auch mit Abscheu.
    Wie lange er sich an der Küste herumgetrieben und was er dort im Einzelnen gemacht hat, kann ich nicht sagen. Irgendwann im Laufe des Tages muss er jedoch nach Charleroi gefahren sein. (Sie erinnern sich: das Haus von Dutroux...) Er war seinem Instinkt gefolgt, dass es in ganz Belgien keinen besseren Ort geben könne, um einen Autohändler zu finden, der bereit war, einen limonengelben Porsche ohne Papiere und ohne lästige Fragen gegen ein weniger auffälliges Fahrzeug, eine Pistole, Munition und ein bisschen Cash umzutauschen. In der Frage des Bargelds schienen die Verhandlungen mühsam gewesen zu sein, aber ansonsten hatte mein Peiniger alles bekommen, was er wollte. Und ein Paar Handschellen gratis dazu.
    Neues Auto - neues Glück . Etwas in der Art muss mir durch den Kopf gegangen sein, als er mich mit einem knappen Pistolenwink aufforderte, in den braunen Ford mit belgischem Kennzeichen zu steigen, der direkt neben dem Wohncontainer stand. Das war also das Auto, das ich zuvor gehört hatte. Bei jeder Laterne, deren Licht das Wageninnere erhellte, wanderte mein Blick zu der Beule, die sich unter seiner Jeansjacke abzeichnete.
    Kurz hinter Kortrijk verließen wir Belgien und kamen nach Frankreich. Prompt hörte die Autobahnbeleuchtung auf. Bei Lille mussten wir das erste Péage -Ticket ziehen. (Und ganz so wie mein Vater es früher mit meiner Mutter gemacht hatte, reichte mein Peiniger mir das Ticket herüber mit der Aufforderung, es ins Handschuhfach zu legen. (Ich frage mich, wieso diese Dinger eigentlich »Handschuhfach« heißen. Kennen Sie irgendjemanden, der dort tatsächlich Handschuhe verstaut?))
    Insgeheim wunderte ich mich, dass er auch in Frankreich auf der Autobahn blieb. Nicht, dass ich ihn für so bankrott oder geizig gehalten hätte, dass er nicht bereit gewesen wäre, Autobahngebühren zu zahlen. Aber an Péage -Stationen wimmelte es doch vor Überwachungskameras. Ihn schien das nicht weiter zu stören. Er musste sich in seinem neuen Auto sehr sicher fühlen. Und - um ehrlich zu sein: Noch hatte er ja auch nicht den geringsten Grund, sich nicht sicher zu fühlen. Zu jenem Zeitpunkt gab es keinerlei Hinweis darauf, dass sich irgendjemand für seine Flucht beziehungsweise meine Entführung interessierte. (Außer meinen Eltern - aber deren Sorgen nahm niemand ernst.)
    Mehr als einmal habe ich mich gefragt, ob mir meine Irrfahrt durch halb Europa erspart geblieben wäre, würde es die guten alten Passkontrollen noch geben, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere. Denn selbst der gedankenloseste Grenzbeamte hätte uns wohl kaum durchgewunken, hätte er auch nur einen Blick ins Auto geworfen und auf dem Beifahrersitz mich verprügeltes Wesen entdeckt - das bei näherem Hinsehen Kleider trug, die ihm nicht gehören konnten, barfuß war und keinerlei Ausweis bei sich hatte.
    Prinzipiell bin ich für die europäische Einigung. Nur macht sie es Zeitgenossen wie meinem Peiniger unnötig einfach. Der Kriminologe hat absolut Recht, der in einem Interview gesagt hat, die Tatsache, dass sich Geschichten wie die meine bislang eher in den USA abgespielt hätten, habe

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