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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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ich nicht sicher wüsste, dass Wasser keinen Schimmel ansetzen kann, hätte ich gesagt: Genau dies war der Fall. In der Ferne sah man das Meer glitzern, aber die Freude, die üblicherweise aufkommt, wenn man es nach einer langen Reise sieht, wollte sich nicht einstellen.
    Ich vermag nicht zu sagen, wen der Schuss, der die Stille der » Réserve naturelle, zoologique et botanique « zerriss, zuerst aufschreckte: Die hunderte Flamingos, die tausend anderen Vögel, Gabriella oder mich. Als ich mich in Richtung meines Peinigers umdrehte, war das Gekreisch und Geflatter der Vögel so ohrenbetäubend, dass nichts anderes mehr zu hören war. Ich sah Alessia am Boden liegen, ihre Beine waren in einem merkwürdigen Winkel verdreht, ein gelber Croc war ihr vom Fuß gerutscht, ihr viel zu kurzer Rock entblößte einen gleichfalls gelben Slip. Rot hingegen färbte sich ihr blonder Pferdeschwanz, auch der Schotter nahm dort, wo ihr Hinterkopf aufgeschlagen war, diese Farbe an, und ich weiß noch, dass ich dachte: Dieses leuchtende Rot passt nicht hierher, wo einzig das Meer glitzern darf . Dann sah ich Gabriellas weit aufgerissenen Mund, sie schrie wie im Stummfilm, gegen die Vögel hatte sie keine Chance. Mein Peiniger stand ganz ruhig da, die Waffe in einer Hand, den Lauf noch immer auf Alessia gerichtet, ich sah, wie er ihn langsam zu Gabriella hinüberschwenkte, ich dachte, er würde ein zweites Mal abdrücken (kann sein, dass ich mir die Ohren zuhielt,) ich sah, wie er mit fünf, sechs Schritten bei ihr war, ich sah, wie er sie an ihrem blonden Pferdeschwanz packte, ich sah, wie er sie zwang, vor ihm auf die Knie zu gehen, ich sah, wie er die Mündung seiner Waffe jetzt direkt gegen ihre Schläfe drückte, ich sah sie flehen (ihre Augen glitzerten fast so sehr wie das Meer), ich sah, wie er sie zwang, die Knöpfe seiner Jeans zu öffnen, und schloss die Augen.
    Ich habe es nachgeschlagen: In der Camargue leben dreiunddreißig Vogelarten: Schreiadler, Nachtreiher, Graureiher, Purpurreiher, Rallenreiher, Silberreiher, Seidenreiher, Kuhreiher, Rohrweihe, Zwergdommel, Rohrdommel, Säbelschnäbler, Häherkuckkuck, Stelzenläufer, Cistensänger, Mariskensänger, Bienenfresser, Bartmeise, Schafstelze, Blauracke, Brachpieper, Seeregenpfeifer, Kurzzehenlerche, Weißkopfmöwe, Schwarzkopfmöwe, Dünnschnabelmöwe, Rotflügelbrachschwalbe, Rosaflamingo, Wiedehopf, Kolbenente, Brandente, Graugans, Schwarzmilan. Dreiunddreißig verschiedene Arten zu schreien, zu rufen und zu schnarren, dreiunddreißig verschiedene Arten, die Luft mit den Flügeln zu zerteilen. Ich danke den Vögeln der Camargue, dass sie mich durch jene Momente getragen haben.
     
     
    Später im Auto fragte ich meinen Peiniger, ob er keine Angst gehabt habe, sich mit der Kugel selbst in den Schwanz zu schießen, oder dass Gabriella - zumindest in jenem Moment, in dem ihr kurzes Leben so jäh beendet worden war - mit letzter Kraft hätte zubeißen können. Seine Antwort war knapp, und ich bin bis heute nicht sicher, ob ich sie verstehe: »Wer bremst, hat schon verloren.«

Die Heilige Jungfrau
    Schwere Wolken hingen über den Pyrenäen, als mein Peiniger und ich uns Lourdes näherten. Anfangs, als die Berge zum ersten Mal in den Blick gekommen waren, hatte alles friedlich ausgesehen. Gipfelkette für Gipfelkette hatten sich die Pyrenäen aufgetürmt, in die Ferne hin immer heller werdend - ganz so, wie wir im Kunstunterricht der Unterstufe gelernt hatten, Gebirge perspektivisch richtig zu malen. Doch kaum waren wir von der Autobahn abund auf die Berge zugefahren, hatte sich der Himmel verfinstert. Während wir die ersten Ausläufer des Wallfahrtsortes erreichten, brach das Gewitter los. Ich bat meinen Peiniger, am Straßenrand zu halten. Zwar beschimpfte er mich, dennoch fuhr er rechts ran, und ich gönnte mir eine Dusche. Nach der ewig gleichen Hitze der Provence liebte ich den Regen auf meiner Haut. Dann fiel mir jedoch ein, dass ich keine Unterwäsche trug, und da Wet-T-Shirt-Contests zum Abgeschmacktesten gehören, was die Welt sich ausgedacht hat, stieg ich wieder ins Auto, bevor ich vollends durchnässt war.
    Obwohl die Scheibenwischer mit voller Kraft arbeiteten - endlich wurde der Insektenfriedhof von unserer Frontscheibe gewaschen -, konnte man keine zehn Meter weit sehen. Wir hielten neben einem kleinen, weiß und ochsenblutrot gestrichenen Hotel in der Nähe des Bahnhofs, und ich glaubte, mich verhört zu haben, als mein Peiniger verkündete, dass wir hier

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