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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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eigenen, mehr oder weniger gesunden Beinen - erreichten, war ich verblüfft. Ich hatte mit einer Anlage außerhalb der Ortschaft, irgendwo im Wald gerechnet, wie ich sie von den prähistorischen Grotten kannte: Ein unscheinbarer Eingang im Fels mit einem Tickethäuschen und einer langen Schlange Touristen davor. Doch die » Sanctuaires de Notre-Dame de Lourdes « lagen mitten im Ort. Hinter einem schmiedeeisernen Tor begann eine vier-, fünfhundert Meter lange Auffahrt, die mit Bäumen und Fahnenmasten gesäumt war. Mein Peiniger, der im Gegensatz zu mir in seinem sauerländischen Dorf eine katholische Kindheit verbracht hatte, klärte mich darüber auf, dass es sich um keine »Auffahrt«, sondern um den »Prozessionsplatz« handele - über den noch immer die von der Patronne angekündigte » Procession Mariale « zog.
    Nie zuvor hatte ich so viele Lichter auf einmal gesehen. Tausend oder zweitausend (oder gar dreitausend?) Menschen trugen lange, weiße Kerzen vor sich her, deren Flammen mit einer Art Papierlampion geschützt waren. Und obwohl ich wirklich nicht besonders firm bin, was Katholizismus angeht, erkannte ich schnell, was sie beteten:
    Ave Maria gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui, Jesus, qui perficiat in nobis caritatem. Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus nunc et in hora mortis nostrae. Amen .
    Als wäre sie selbst ein riesiger Rosenkranz wand sich die Lichterschlange zu der goldgekrönten Kirche hinauf, die über der ganzen Anlage thronte. Wir schoben uns durch die singenden und betenden Pilger, und mein Peiniger meinte, wir müssten uns rechts halten, um zur heiligen Grotte zu gelangen. Als ich ihn (halb im Scherz) fragte, ob er früher an »Wallfahrten junger Christen« teilgenommen habe oder warum er sich sonst so gut auskenne, erklärte er mir ungehalten, dass er lediglich zwei- oder dreimal mit Radkollegen in Lourdes gewesen sei, wenn sein Team in den Pyrenäen trainiert hatte. (Später machte er sich über die »Spinner« lustig, die das Lourdeswasser angeblich großkanisterweise abgefüllt hatten, um es beim nächsten Heimatbesuch ihren Tanten in Kolumbien mitzubringen. (Wie Sie bald noch klarer sehen werden, war sein Verhältnis zu Gott, Religion und Glauben tatsächlich sehr komplex.))
     
     
    Ich weiß nicht, was ich mir unter dem »heiligen Wasser« genau vorgestellt hatte. (Offensichtlich ist es wie mit »Flussufer«: Gewisse Wörter rufen unweigerlich völlig veraltete Bilder hervor.) Mit dem, was ich sah, nachdem wir es endlich geschafft hatten, uns in Richtung Fluss durchzukämpfen, hatte ich bestimmt nicht gerechnet: Am Fuße der Kirchmauer war ein langes Rohrsystem mit zahlreichen Wasserhähnen installiert. Die Anlage erinnerte mich an die Wasserzapfstellen, wie ich sie von meinem einzigen Kindheitscampingerlebnis in Erinnerung hatte. Als mein Peiniger mich aufforderte, mich an einer der Schlangen anzustellen, die sich an jedem Wasserhahn gebildet hatten, um mein Fläschchen zu füllen, dachte ich, er wolle mich wieder einmal auf den Arm nehmen. Doch tatsächlich war hier jedermann damit beschäftigt, Flaschen und Kanister volllaufen zu lassen, (wobei die wenigsten echte Lourdes-Behälter hatten, sondern bloß mit leeren PET-Flaschen herumhantierten,) oder man bückte sich, um selbst aus den Wasserhähnen zu trinken. Am meisten überraschte mich, wie hektisch und rüpelhaft es zuging: Das allgemeine Gerempel hätte besser zu Woolworth im Sommerschlussverkauf gepasst als zu den Gebeten im Hintergrund.
    Ave Maria gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus et benedictus fructus ventris tui, Jesus, quem, Virgo, concepisti. Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus nunc et in hora mortis nostrae. Amen .
    Und so wuchs mein Verdacht, dass dies irgendeine Wasserzapfstelle sein müsse, an der sich die armen Pilger nach ihren langen Reisen erfrischten und an der sich die alleärmsten, die sich keine Hotelübernachtung leisten konnten, auch noch mit Wasservorräten für die Rückreise oder die Nacht auf dem Parkplatz eindeckten. Als ich meinen Peiniger ein letztes Mal fragte, ob dies hier wirklich das berühmte Lourdeswasser sei, lachte er so laut, dass ihn einer der umstehenden Heiligtumswächter anzischte und auf das Schild deutete, auf dem ein blauer Schattenrisskopf mithilfe eines Zeigefingers das internationale Zeichen für » Pssst! « machte.
     
     
    Wäre alles anders gekommen, hätte ich nicht

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