Maengelexemplar
schon immer in Zigaretten gemessen) nach draußen, ich für den Rest des Vormittags. Denn da kann ich in der Sonne sitzen und an meinem Karo-Kaffee nuckeln und zusehen, wie ich ein wenig ruhiger werde.
Jeden Tag lese ich Scheiße. Viele Bücher, die alle »Schokolade zum Frühstück« oder »Erdbeermund« oder »Neue Schuhe zum Dessert« heißen. Der dämlichste Titel ist wohl »Prada, Pumps und Babypuder«. Dafür schäme ich mich so, dass ich das Buch in eine Zeitungsseite schlage. Aber triviale Frauenliteratur ist das Einzige, was geht dieser Tage. Internet und Fernsehen machen mir große Angst. Ich weiß nicht, weshalb, aber beides wirkt auf mich bedrohlich. Zu nah an der Realität, am richtigen Leben. Ich fühle mich aber nicht real und möchte deshalb auch nichts von einem Leben, das ich grad nicht leben darf, mitbekommen.
Wenn Mama keine Zeit hat, kümmert sich mein Zivi Nelson um mich. Wir spielen Karten und laufen durch den Park.
Schon nach drei Tagen habe ich das Gefühl, fast vollständig geheilt zu sein. Ich bin immer noch matt und niedergeschlagen, aber schließlich habe ich nur eine kleine depressive Verstimmung und ein wenig Liebeskummer, das ist ja kein Beinbruch.
Ich beschließe, dass es wieder Zeit ist, allein zu wohnen. Das schreibe ich Mama auf einen Zettel und fahre nach Hause. Dort bin ich vorsichtshalber sehr behutsam mit mir und exerziere all die Sachen durch, die man immer im Fernsehen und in Frauenzeitschriften sieht, wenn es ums Wohlfühlen geht: Ich nehme ein entspannendes Bad, rasiere mir schaumreich die Beine, stelle überall Kerzen auf und kuschele mich auf mein Sofa. Ich bin nur ein Paar zu große Wollsocken und eine Tasse heißen Kakao weit von den Frauen aus meinen blöden Büchern entfernt. Um das wieder auszugleichen, rauche ich viel und versuche, ein wenig zu masturbieren. Das kann ich, wie vieles, ziemlich schnell erfolgreich. Masturbieren ist bei mir immer eine ziemlich sichere Bank. Heute funktioniert es jedoch überhaupt nicht. Meine Freunde, die Orgasmen, verstecken sich vor mir. Ich fühle
nichts
. Nach zehn Minuten gebe ich auf und schlafe verärgert ein.
Schlimmer kann es nicht mehr werden, hatte Mama gesagt. Schlimmer geht immer, sagt aber der Volksmund. Und mitten in der Nacht tritt der Beweis zum Appell an.
Ich wache mit einem Brennen in der Brust auf. Ich bin schlagartig wach und so aufgeregt, dass ich glaube, platzen zu müssen. Mein Herz rast wie das eines kleinen Vögelchens. Ich stehe im Bett und versuche, die Situation zu erfassen, mich irgendwie zu beruhigen. Nackt auf den Balkon, bringt nichts. Atmen bringt nichts. Ich renne durch die Wohnung, das Brennen in der Brust weitet sich auf den linken Oberarm aus. Hitze in meinem gesamten Oberkörper.
Heißheißheiß
. Alles brennt. Ich habe einen Herzinfarkt. Was muss ich jetzt machen? Den Notarzt anrufen? Was, wenn die mich auslachen? Zitternd suche ich die hellblauen Notfalltabletten, die mir Frau Dr. Kleve mitgegeben hat. Wenn Notfall, dann wohl jetzt. Ich weine vor Angst im Bad. Allerdings ohne Flüssigkeit. Vermutlich ist mein Körper anderweitig beschäftigt und hat jetzt keinen Nerv für Tränenproduktion.
Ich rufe Mama an. Ich benötige drei Versuche, ich treffe die Tasten nicht. Obwohl es zwei Uhr früh ist, geht Mama ans Telefon. »Mama, irgendwas stimmt nicht, kann ich zu dir?«
Natürlich kann ich. Ich nehme ein Taxi und komme einfach nicht runter. Ich zappele auf der Rückbank rum und versuche, mich zu beherrschen. Das Feuer in meinem Oberkörper schwelt zwar nur noch, doch die Unruhe bleibt. Ich bin der größte Sack Flöhe, den die Welt je gesehen hat. Ich zittere. Zu viel Trinkgeld, keine Zeit für Wechselgeld.
Mama öffnet die Tür, und ich hebe einfach nur noch die Arme, damit Mama mich übernehmen, mich wieder ausziehen und ins Bett legen kann. »Habe ich einen Herzinfarkt?«, frage ich laut schluchzend. »Nein, das ist ein Panikanfall, Süße. Der ist fürchterlich hässlich, aber gleich wieder vorbei!«
Ich liege im Bett und werde gestreichelt. Sehr langsam beruhige ich mich.
Mama holt Zigaretten und legt sich zu mir aufs Bett. »Du musst das zulassen, Karo! Akzeptiere, dass du ein bisschen krank bist. Stell dir vor, dass du jetzt hier eine Kur machst. Verdrängen macht dein Körper einfach nicht mehr mit.« Ich wimmere nur als Antwort. Mama verschwindet kurz und kommt mit einem alten Ring wieder. Sie stülpt ihn über meinen Finger. Er ist silbern und schnörkellos und hat einen
Weitere Kostenlose Bücher