Maengelexemplar
wieder für sie arbeite. Zuerst halte ich das für eine Unverschämtheit, schließlich hat man mir damals den Boden unter den Füßen weggezogen und ist somit mit schuld an meiner Kopfkirmes. Aber mein Ex-Chef hat für das Gespräch ordentlich Zucker mitgebracht, um ihn mir in den Hintern zu blasen. Und Zucker im Arsch funktioniert bei mir immer recht gut. Ich erbitte mir Bedenkzeit und außerdem ein ordentliches Gehalt, erstaunlicherweise wird mir beides bewilligt, so sage ich bereits zwei jämmerliche Stunden nach dem Gespräch zu. In Sachen Interessantmachen habe ich nichts dazugelernt.
Meine Agentur hat den Auftrag erhalten, die Jahresfeier eines Kinderfernsehsenders auszurichten. Man wird fünf Jahre alt und möchte groß mit Klein feiern. Mein Job ist es, mir für die Party einen inhaltlichen Ablauf zu überlegen, Spiele und Quatsch-Essen zu erfinden. Für die Arbeit an diesem Projekt bekomme ich sogar ein Büro und meinen Lieblingskollegen Max als Mitdenker. Max arbeitet auch frei für die Agentur. Wir haben schon auf vielen Partys zusammen hysterische Kunden beruhigt und Fun-Getränke erbrochen. Nun fühlen wir uns sehr cheffig im eigenen Büro und mit eigenem Auftrag.
Die ersten zwei Tage machen wir nur Quatsch. Wir diskutieren sehr lange, wie wir uns am Telefon melden wollen, falls jemand vom Kindersender anruft. Wir ziehen in Erwägung, den Namen unserer Agentur ganz zu verschweigen, damit wir selbständig rüberkommen und Folgeaufträge gleich auf unserem Tisch landen. Wir wollen auch Visitenkarten drucken lassen, aber Stefan, unser Chef, findet
Karo Herrmann, Head of Fun
nicht so gut und hält generell speziell projektbezogene Visitenkarten für überflüssig. Max und ich sind enttäuscht und basteln uns wenigstens Ansteckkarten, wie man sie auf Messen trägt.
Dann verbringen wir Tage damit, uns lustige Sachen zu überlegen. Wir sind uns in der generellen Ansprechhaltung sehr einig: Kinder dürfen nicht unterfordert werden. Man muss mit ihnen auch Erwachsenenspäße machen dürfen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es beispielsweise irre witzig ist, vor seinem Kind laut zu rülpsen und dann dem kleinen Schatz die Schuld in die Schuhe zu schieben. Kinder finden so was zum Totlachen. Außerdem sollten Kinder fluchen dürfen, wenn es einen Anlass gibt. Wenn beispielsweise Kevin aus dem Kindergarten ein Arsch ist, gibt es keinen Grund, ihn nicht als solchen zu benennen. Kinder sollen sich auch selbst anziehen dürfen. Wenn mein Nachwuchs später mit Supermannkostüm und Gummistiefeln zur Einschulung gehen möchte, dann bitte sehr. Eine gewisse Vorsicht ist, was Kleidung angeht, erst wieder im Teenageralter angebracht, aber darum müssen Max und ich uns nicht kümmern, unsere Zielgruppe ist zwischen fünf und zehn Jahre alt.
Wir stürmen also unsere Gehirne und sammeln Spiele-Ideen. Wir erstellen zuerst eine Liste der Sachen, die wir auf keinen Fall auf der Party haben wollen, keinerlei Kompromisse gehen wir bei folgenden drei Klassikern ein:
Clowns
Niedliche Tiere
Kinder wie Clowns oder niedliche Tiere schminken
Unser erster Programmpunkt: Eltern nachmachen. Wir planen eine riesige Auswahl an Erwachsenenklamotten zum Verkleiden, damit man sich ausgiebig über seine Eltern lustig machen kann. Wer coole Eltern hat, darf sie zur Kind-Rolle verdammen, nachher gibt es Familienfotos, auf denen die Rollen vertauscht und die Kinder der Boss sind. Außerdem wollen wir Rockband spielen. Eine Art Miniplaybackshow mit echten Instrumenten. Jeweils vier bis fünf Kinder dürfen einen Song lang so tun, als hätten sie grad das Wembley-Stadion ausverkauft. Max schlägt »Wettrülpsen« und »Schuhe am Geruch ihren Besitzern zuordnen« vor. Ich bin begeistert. Mein Favorit ist jedoch »Schrei den Lukas«. Im Prinzip die krawallige Coverversion von »Hau den Lukas«: Wer am lautesten in eine Maschine brüllt, gewinnt einen Preis. Max verzieht ein wenig das Gesicht. »Das wird aber irre nervig!«, sagt er.
»Genau!«, freue ich mich mit roten Ohren.
Max ist ein eher ruhiger Mensch. Schlau und lustig, aber auch ein bisschen langsam. Er selbst nennt das »entspannt«. Für jemanden mit meinem Tempo ist das gewöhnungsbedürftig, aber wir sind jetzt ein Team, und die neue Karo will teamfähig sein. Und so sitzen wir drei Tage die Woche in unserem Büro und erfinden zusammen Kinderträume und sind tatsächlich ein gutes Team. Wenn ich total durchdrehe und zum Beispiel ein klitzekleines bisschen echten Alkohol
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