Maenner fuers Leben
zeit.
Ich lege den Kopf schräg und überlege mit offenem Mund, was er damit genau sagen will. Ich denke an all die Jahre, in denen wir keinen Kontakt hatten, und dann an die Tage seit unserem Flug. Ich denke daran, wie sehr ich mich bemüht habe und immer noch bemühe, ihm zu widerstehen, ihm und der gefährlichen Chemie zwischen uns. Ich frage mich, was das alles bedeutet, denn etwas muss es ja bedeuten. Und dieses Etwas macht mir Angst und weckt in mir die tiefen Schuldgefühle eines katholischen Schulmädchens.
Aber dann sehe ich Andy vor mir, schmallippig am Tisch gestern Abend. Ich sehe ihn, wie er seinen gestärkten Pyjama zuknöpft, bevor er ins Bett geht, und wie er heute Morgen vor der Couch stand, die personifizierte Anklage. Und wie er jetzt durch die Stadt flaniert, Bekannten und Fremden gleichermaßen zuwinkt und mit dem einen oder anderen ein bisschen Small Talk macht. Small Talk auf dem Golfplatz, Small Talk in der Kirche, Small Talk an der Tankstelle. Unbekümmerten, munteren, belanglosen Small Talk.
Ich atme schneller und schreibe:
Es hat mir gefehlt, mit dir zu reden.
Ich starre auf diesen kühnen Satz, und dann drücke ich auf die Löschtaste und sehe zu, wie die Buchstaben rückwärts verschwinden. Aber als sie weg sind, sehe ich sie immer noch auf dem Bildschirm. Ich fühle sie, sie sind eingeprägt in mein Herz. Es ist die Wahrheit. Es ist genau das, was ich fühle, genau das, was ich sagen will. Das Reden mit Leo hat mir gefehlt, schon seit Jahren und besonders seit unserem Flug. Also tippe ich die Worte noch einmal, und dann schließe ich die Augen und schicke die Nachricht ab, und sofort ist mir mulmig zumute, aber ich bin auch erleichtert. Als ich die Augen wieder öffne, hat Leo schon geantwortet.
du hast mir auch gefehlt, ellen.
Ich schnappe nach Luft. Da schwingt etwas mit, wenn er meinen Namen benutzt, und in dem Wörtchen «auch»– als wisse er, dass mir nicht nur das Reden mit ihm fehlt, sondern er . Und wie die Worte auf dem Bildschirm aussehen – schlicht und sachlich und offen, als wäre nichts weiter dabei, die Sehnsucht auszusprechen, weil es so offensichtlich ist wie sonst nichts auf der Welt. Ich überlege, wie es weitergehen soll, und schon wieder kommt eine Mail von ihm.
Ich klicke sie an und lese:
bist du noch da?
Ich nicke, sehe sein Gesicht, wie er auf meine Antwort wartet, und denke, dass Andy jetzt nach Hause kommen, meinetwegen die Küche in Brand setzen und mir dann über die Schulter schauen könnte – wahrscheinlich würde ich immer noch wie erstarrt auf meinem Stuhl sitzen.
Ja.
Ich klicke auf «Senden» und warte. Er antwortet:
gut.
Und Sekunden später kommt noch eine Mail:
vielleicht wäre das hier am telefon einfacher …
kann ich dich anrufen?
Das hier , denke ich. Was ist das hier ? Diese Unterhaltung? Dieses Geständnis? Dieser Tanz in die Untreue? Ich zögere. Ich weiß, wie viel sicherer die E-Mail ist und dass ich eine weitere Grenze überschreite, wenn ich einem Telefongespräch zustimme. Aber ein Teil meiner selbst will mit ihm sprechen, will verstehen, was wir da miteinander hatten und warum es zu Ende ging, und diesen Teil kann ich nicht daran hindern, zu schreiben:
Ja.
Und er ruft an. Ich höre das fröhliche Zwitschern meines Handys in meiner Handtasche, die ich gestern Abend in den Schrank geworfen habe, und ich stürze hinüber, um den Anruf anzunehmen, bevor er auf die Mailbox weitergeleitet wird.
«Hi», sage ich und versuche, dabei ruhig zu atmen und entspannt zu klingen, als wäre ich nicht regelrecht verzückt, seine Stimme zu hören.
Ich weiß, dass er lächelt, als er sagt: «Hi, Ellie.»
Mein Herz schmilzt, und ich grinse.
«Und?», sagt er. «Hast du meinen Artikel wirklich gerade erst gelesen?»
«Ja», sage ich und starre durch das Fenster in unsere Einfahrt hinunter.
«Hat deine Agentin dir das Vorabexemplar nicht gegeben, das ich ihr geschickt habe?»
«Doch.» Ich bin seltsam zerknirscht, weil es aussieht, als wäre mir seine Story so gleichgültig. Aber er muss es besser wissen. Er muss wissen, wie viel mir dieser Tag bedeutet hat – und dass dies der eigentliche Grund dafür ist, dass ich den Artikel so lange nicht gelesen habe. Trotzdem suche ich nach einer Entschuldigung. «Doch, hat sie. Ich hatte nur … viel zu tun in letzter Zeit.»
«Ach ja? Hast du viel gearbeitet?»
«Das nicht gerade.» Im Hintergrund höre ich Bob Dylan mit «Tangled Up in Blue».
«Was war es dann?»,
Weitere Kostenlose Bücher