Maenner fuers Leben
jedem Parkettfußboden treiben, um eine solide körperliche Beziehung zu haben. Sex auf harten Flächen und an raue Wände gelehnt sieht vielleicht im Kino heiß aus, aber im wirklichen Leben ist er unbequem und umständlich und ohnehin überschätzt.
Es gab allerdings das eine Mal in Leos Büro …
Verzweifelt bemühe ich mich, die Erinnerung zu verdrängen, indem ich Andy noch einmal küsse, diesmal auf den Mund. Aber wie es so geht: Wenn man versucht, an etwas nicht zu denken, wird das Bild nur noch lebhafter. Und so kommt es, dass ich plötzlich das Undenkbare tue: Ich küsse meinen Mann und denke an einen anderen. Ich denke an Leo. Ich küsse Andy heftiger und will Leos Gesicht und seine Lippen mit aller Kraft vergessen. Ich arbeite an den Knöpfen von Andys Hemd und streiche über seinen Bauch und seine Brust. Ich ziehe meinen Pullover aus, und wir umarmen einander, Haut an Haut. Laut sage ich Andys Namen. Leo ist immer noch da. Sein Körper an meinem.
«Mmhm, Ellen», seufzt Andy, und seine Finger streicheln meinen Rücken.
Leos heiße Hände fassen meinen Rücken, wie von Sinnen, drängend.
Ich öffne die Augen und sage Andy, er soll mich ansehen. Er tut es.
Ich schaue ihn an und sage: «Ich liebe dich.»
«Ich liebe dich auch», sagt er. So zärtlich. Sein Gesichtsausdruck ist offen, aufrichtig, ernst. Sein Gesicht ist das Gesicht, das ich liebe.
Ich mache die Augen zu und konzentriere mich auf Andy, der an meinem Oberschenkel hart wird. Wir haben die Hosen noch an, aber ich schiebe mich rittlings auf ihn, drücke mich an ihn und sage noch einmal seinen Namen. Den Namen meines Mannes. Andy . Es gibt keine Verwirrung, ich weiß, mit wem ich hier zusammen bin. Wen ich liebe. Es funktioniert eine Weile. Und es funktioniert weiter, als Andy mich in unser Schlafzimmer führt, wo die Alles-oder-nichts-Heizung, die sich entweder gar nicht regt oder Dampf durch die Gegend pustet, für tropische Verhältnisse sorgt. Wir schieben die Daunendecke zur Seite und sinken auf das weiche Laken. Wir sind jetzt völlig nackt. Dieses Bett ist heilig. Leo ist weg. Er ist nirgends.
Und doch bin ich Augenblicke später, als Andy sich in mir bewegt, wieder in Leos Apartment, an dem Abend, als der Freispruch endlich kam. Er ist unrasiert, und seine Augen sind ein bisschen glasig von den Drinks, die wir uns zur Feier des Tages genehmigt haben. Er umarmt mich wild und flüstert mir ins Ohr: «Ich weiß nicht genau, was das ist mit dir, Ellen Dempsey, aber ich muss dich haben.»
In dieser Nacht gab ich mich ihm völlig hin, und ich wusste, dass ich ihm gehören würde, so lange er mich behalten wollte.
Und, wie sich herausstellt, noch länger.
Sechs
Margot ruft am nächsten Morgen an, lange vor Sonnenaufgang – oder, wie Andy sagen würde, bevor irgendein vernünftiger Mensch auf den Beinen ist. Andy regt sich selten auf, aber drei Dinge bringen ihn auf die Palme: Leute, die sich in einer Warteschlange vorpfuschen, Gemecker über Politik in geselligen Situationen und Anrufe seiner Schwester am frühen Morgen.
«Was zum Teufel …?», knurrt er nach dem zweiten Klingeln. Seine Stimme ist rau, wie immer am Morgen nach ein paar Gläsern Bier, die wir am Abend zuvor in einem Bistro in der Third Avenue noch gekippt haben, zu Burger und den besten Fritten in der Nachbarschaft. Wir haben uns gut amüsiert und sogar noch mehr gelacht als sonst, aber das Essen hat die Gedanken an Leo ebenso wenig vertreiben können wie der Sex. Er blieb den ganzen Abend hartnäckig bei mir und lästerte über den Miesepeter am Nachbartisch und die Hintergrundmusik von Joni Mitchell. Als ich mein drittes Bier austrank und Andy zuhörte, der von seiner Arbeit erzählte, wanderten meine Gedanken unversehens zurück zu dem Morgen, als Leo mir sagte, mein Gesicht sei ihm das liebste von allen Gesichtern der Welt. Er sagte es einfach so, nüchtern und sachlich, ganz unsentimental beim Kaffee. Ich war nicht geschminkt und hatte mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und die Sonne schien mir durch sein Wohnzimmerfenster in die Augen. Aber ich glaubte ihm. Ich wusste, dass er es ernst meinte.
«Danke», sagte ich und wurde rot. Ich dachte, dass sein Gesicht auch mir mit Abstand das liebste sei, und ich fragte mich, ob das mehr als alles andere ein Zeichen für wahre Liebe war.
Dann sagte er: «Ich werde es nie leid, dich anzusehen … Nie.»
Und diese Erinnerung – vielleicht meine Erinnerung Nummer eins an Leo – kommt mir schon wieder
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