Maenner in Freilandhaltung
biss mir auf die Lippen. Sogar in meinen eigenen Ohren hatte das ziemlich eifersüchtig geklungen.
»Tja, manchmal sind die Dinge eben nicht so, wie sie auf den ersten Blick scheinen.« Jan lachte ein wenig unsicher. »Sogar ich hab das mittlerweile begriffen. Allerdings habe ich für diese Lektion etwas Nachhilfe gebraucht.«
Die brauchte ich auch, und zwar dringend. Irgendwie stand bei mir eine ganze Kompanie auf der Leitung. Bei unserem letzten Gespräch hatte Jan mich noch wie eine Schwerverbrecherin behandelt, und ich hatte keine Ahnung, warum ich plötzlich rehabilitiert war.
»Ich habe zufällig Jette getroffen. Sie hat mir erzählt, was zwischen dir und Daniel auf dem Sommerfest passiert ist«, beantwortete Jan meine unausgesprochene Frage. »Es tut mir leid. Ich hab da wohl ein wenig vorschnell geurteilt.«
»Entschuldigung angenommen.«
Ich war froh, dass Jette die Sache richtiggestellt hatte. Aber ein schaler Nachgeschmack blieb. Das schien auch Jan so zu empfinden.
»Ich möchte es trotzdem wiedergutmachen«, erklärte er, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Katja fährt heute noch zurück nach München. Was hältst du davon, wenn ich uns morgen Abend was Schönes koche? So gegen sieben, würde dir das passen?«
Ich zögerte mit der Antwort. »Du meinst, nur du und ich? Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
Zwar war es mir wichtig, dass Jan mich nicht für eine skrupellose Schlampe hielt, die mit ihrem Schwager herummachte. Aber was Jan und mich betraf, hatte sich an meiner Einstellung nichts geändert. Eine Fernbeziehung mit einem Hundetrainer brauchte ich so dringend wie ein Loch im Kopf. Egal, wie charmant er auch lächeln mochte ...
»Es ist nur ein Abendessen, Louisa.« Seine blauen Augen dackelten um die Wette.
Nur ein Abendessen. Warum nicht? »Na schön, aber dann übermorgen. Mein Boss hat mich gebeten, morgen in der Kanzlei vorbeizukommen.«
Als Hans-Hermann mich am vergangenen Freitag angerufen und förmlich um ein Gespräch gebeten hatte, war mir ganz mulmig geworden, denn ich hatte keinen blassen Schimmer, was mein Chef von mir wollte. Ein bisschen Small Talk halten ganz sicher nicht.
Als ich das Foyer des Gebäudes betrat, in dem sich unsere Kanzlei befand, straffte ich die Schultern und atmete tief durch. Irgendwie kam es mir so vor, als wäre ich nicht nur vier Wochen, sondern mindestens vier Monate fort gewesen. So viel war seither passiert! Aber zumindest hier schien alles beim Alten zu sein. Die Lampe rechts vom Eingang flackerte immer noch, und das Schwarze Brett hing schief wie eh und je. Hatte Monika, Hans-Hermanns Sekretärin, vor vier Wochen bereits davor gestanden und die Aushänge studiert? Als sie meine Schritte auf dem Marmorboden hörte, drehte sie sich um.
»Ach, Louisa, hallo«, sagte sie kurz angebunden und wandte sich dann rasch wieder dem Schwarzen Brett zu.
Wir waren nie beste Freundinnen gewesen, hatten aber, wenn wir uns begegneten, immer ein paar freundliche Worte miteinander gewechselt. Hatte ich womöglich, ohne es zu wissen, etwas falsch gemacht? Sie unabsichtlich beleidigt oder ihr das letzte Toilettenpapier vor der Nase weggeschnappt? Bevor sich die Aufzugtür schloss, sah ich gerade noch, wie Monika ihr Handy aus der Tasche zog. Auf dem Weg nach oben grübelte ich weiter über ihr merkwürdiges Verhalten nach. Ach was, sicher hatte ich mir das nur eingebildet! Aber ein bisschen komisch war es schon ...
Als ich im dritten Stock aus dem Aufzug stieg, wurde das unbestimmte Gefühl zur Gewissheit: Irgendetwas war hier faul. Verdammt faul sogar. Der Gang war wie ausgestorben, und die Kaffeeküche, aus der sonst meistens fröhliches Gelächter oder lautes Geschnatter drang, lag da wie verwaist. Und das um diese Uhrzeit, sehr merkwürdig. Wo waren die denn alle? Hans-Hermanns Bürotür stand offen.
»Chef?«, rief ich.
Kein Chef.
Grassierte hier die Pest, oder war die Etage wegen einer Bombendrohung geräumt worden? Unwillkürlich wurden meine Schritte schneller. Ich riss die Tür zu meinem Büro auf.
»Pia, kannst du mir vielleicht erklären, was ...«
Mitten im Satz brach ich ab, denn auf diesen Anblick war ich nicht vorbereitet. Alle Mitarbeiter der Kanzlei hatten sich in unser kleines Büro gequetscht. Als ich den Raum betrat, klatschten und jubelten sie ausgelassen. Wenn mir jedes Mal ein so herzlicher Empfang bereitet wurde, sollte ich mir vielleicht öfter mal ein paar Tage freinehmen, dachte ich völlig
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