Maenner in Freilandhaltung
frische Landluft – worin auch immer das Geheimnis für ewige Jugend und Schönheit liegen mochte, ich nahm mir vor, es während meines Aufenthalts zu lüften.
Da ich keine Lust verspürte, jemandem zu begegnen und womöglich noch Smalltalk halten oder dumme Fragen beantworten zu müssen, schlug ich den Weg ein, der aus dem Dorf hinausführte. Nachdem ich eine Weile durch saftig grüne Wiesen und Felder spaziert war, erreichte ich ein kleines, verwunschen wirkendes Waldstück. Allerdings hatte ich kein Auge für die Schönheit der Natur, denn in meinem Kopf herrschte ein wüstes Durcheinander. Vielleicht hatten die Aliens in der vergangenen Nacht nicht nur bei Finn, sondern auch bei mir zugeschlagen.
Ich war längst nicht mehr so selbstbewusst, wie ich mich am Vortag Rebecca gegenüber gegeben hatte. Nach dem morgendlichen Tohuwabohu hegte ich gewisse Zweifel, ob ich der neuen Aufgabe gewachsen sein würde. Von meinem Spezialauftrag ganz zu schweigen. Falls Rebecca tatsächlich die Konkurrentin war, von der Nina am Telefon gesprochen hatte, dann konnte ich mich schon mal auf einiges gefasst machen. Als Erzieherin hatte sie vermutlich nicht nur Nerven wie Drahtseile, sondern auch mehr Durchhaltevermögen als ich. So leicht würde sie sich bestimmt nicht aus Daniels Nähe vertreiben lassen. Außerdem hatte sie ja auch noch den Patentantentrumpf im Ärmel, den sie jederzeit ausspielen konnte. Auf jeden Fall musste ich unbedingt mit Nina reden! Am besten sofort. Ich fischte mein Handy aus der Jackentasche und wählte ihre Nummer. Kurz darauf vernahm ich Ninas vertraute Stimme: »Hier ist die Mailbox von Nina Blankenburg. Ich bin zurzeit nicht erreichbar ...«
Mist!
Um meine Schwester nicht unnötig in Sorge zu versetzen, hinterließ ich ihr die Nachricht, dass ich gut im Sauerland gelandet sei und dass sie mich bitte mal zurückrufen solle. Wörter wie »sofort« und »dringend« verkniff ich mir dabei ebenso wie alle Arten von Schimpfwörtern, obwohl ich tief in meinem Inneren schon ziemlich stinkig auf meine Schwester war. Anstatt einfach so sang- und klanglos unterzutauchen, hätte sie mir meine Aufgabe ruhig ein wenig leichter machen können. Andererseits verbarg sich dahinter bestimmt keine böse Absicht. Sicher war Nina so mit ihren Problemen beschäftigt, dass sie alles andere einfach ausgeblendet hatte. Früher oder später würde sie sich melden, davon war ich überzeugt, und sei es nur, um sich nach den Kindern zu erkundigen. Mit einem Seufzer ließ ich das Handy wieder in meiner Jackentasche verschwinden und marschierte weiter.
Ein lang gezogener Pfiff riss mich jäh aus meinen Gedanken. Unwillkürlich fuhr ich herum. Ein blonder Typ in abgewetzten Jeans und einem dunkelrot karierten Holzfällerhemd kam mit einem amüsierten Grinsen im Gesicht auf mich zu. Verdammt, was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein?! Und ich war auch noch so dumm gewesen, auf seinen dämlichen Pfiff zu reagieren!
»Hier auf dem Land zieht so eine plumpe Anmache möglicherweise«, fauchte ich ihn ärgerlich über mich selbst an, »aber da, wo ich herkomme ...« Mitten im Satz brach ich ab. Hinter mir war auf dem Waldboden ein schnelles Trappeln gepaart mit einem lauten Hecheln und Keuchen zu hören. Mein Herz raste, kalter Schweiß brach mir aus. Wie leichtsinnig von mir, einfach so allein in dieser gottverlassenen Gegend herumzuspazieren! Im Großstadtdschungel kannte ich mich aus, ich wusste, welche Gefahren dort lauerten. Man musste, wenn man abends durch dunkle Straßen ging, immer damit rechnen, dass eine finstere Gestalt hinter der nächsten Straßenecke wartete, um einen niederzuschlagen und auszurauben. Keineswegs angenehm, aber wenn man sich kooperativ verhielt und vom Zahngold bis zum Portemonnaie brav alle Wertgegenstände rausrückte, die man bei sich trug, standen die Überlebenschancen nicht schlecht. Hier jedoch, fernab der Zivilisation, in freier Wildbahn, war das möglicherweise anders. Vielleicht gab es hier Wölfe oder Bären. Oder andere wilde Bestien, die nur darauf warteten, über schutzlose Spaziergänger wie mich herzufallen und sie zu zerfleischen. Angesichts dieser Bedrohung schien mir der Fremde, der in meiner Nähe stehen geblieben war, das weitaus kleinere Übel zu sein. Ohne lange zu überlegen, rannte ich auf ihn zu und suchte hinter seinen breiten Schultern Schutz.
Das Trappeln erstarb. Das Hecheln und Keuchen war zwar nach wie vor zu hören, schien jedoch nicht näher zu kommen. Mit klopfendem
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