Maenner in Freilandhaltung
war. Die Frau auf dem Bild kam mir bekannt vor, aber es dauerte einen Moment, bis ich begriff, wo ich sie schon mal gesehen hatte. Schaudernd rieb ich mir die Arme, die plötzlich von einer Gänsehaut überzogen waren. Hier also war Kerstin ums Leben gekommen. Nachdenklich lief ich zum Haus zurück.
Den Nachmittag verbrachte ich mit den Jungs im Garten. Beim gemeinsamen Spiel konnten wir uns am besten kennenlernen und beschnuppern. Während Christopher seinen Fußball über die Wiese dribbelte, buddelte ich mit Finn und Lukas im Sandkasten. Dabei musste ich immer wieder als friedensstiftender Blauhelmsoldat in Aktion treten. Denn obwohl sich so viele Bagger und Laster im Garten befanden, dass man problemlos eine ganze Großbaustelle damit hätte bestücken können, wollten die Zwillinge partout immer mit demselben Fahrzeug spielen.
»Ich hab Hunger«, erklärte Finn mit einem Mal resolut und ließ die Sandschaufel fallen.
»Ich auch«, jammerte Lukas.
»Ich könnte ein halbes Schwein auf Toast verdrücken«, unterstützte Christopher seine Geschwister.
Wie schön! Ausnahmsweise waren alle sich mal einig.
Aber meine Freude über die unerwartete Eintracht verpuffte genauso schnell, wie sie gekommen war. Ich hatte das Abendessen komplett vergessen! Eigentlich hatte ich vorgehabt, im Supermarkt, den es laut Daniels Auskunft tatsächlich im Dorf geben sollte, Pommes und Fischstäbchen zu besorgen. Das einzige Gericht, das ich auch in größeren Mengen ohne nennenswerte Komplikationen zubereiten konnte. Aber irgendwie war der Vormittag so schnell vorbei gewesen, dass ich nicht mehr zum Einkaufen gekommen war.
»Was gibt’s denn heute?«, wollte Christopher wissen.
»Lasst euch überraschen«, bluffte ich mit geheimnisvoller Miene und verschwand im Haus.
Panisch durchwühlte ich die Gefriertruhe, aber außer einer Familienpackung Schokoladeneis konnte ich nichts Brauchbares finden. Sogar mir leuchtete ein, dass das Eis als Abendessen völlig ungeeignet war. Schließlich war die Packung nur noch halb voll, wie sollten denn davon alle satt werden? Während ich angestrengt nachdachte, womit ich die hungrigen Mäuler stopfen könnte, und auf ein Wunder hoffte, klingelte es an der Haustür. Es war die rothaarige Nachbarin, die mich bei meiner Ankunft so unverhohlen beäugt hatte.
»Hallo, ich bin Hannah«, stellte sie sich vor, ohne mir dabei die Hand zu geben, was auch schwer möglich gewesen wäre, denn sie balancierte einen großen gusseisernen Kochtopf, aus dem es verführerisch duftete, vor sich her. »Ich wohne gleich gegenüber.«
Glaubte sie wirklich, dass ich mich nicht an ihre unfreundliche Begrüßung erinnern konnte?! Ach, was soll’s, dachte ich. Schwamm drüber! Ich war kein nachtragender Mensch – zumindest nicht, wenn sich auf diese Weise die Meuterei einer hungrigen Mannschaft verhindern ließ. Natürlich kannte ich mich mit ländlichen Gepflogenheiten nicht so aus, aber es war nicht anzunehmen, dass Ninas und Daniels Nachbarin einfach so mit einem Kochtopf unter dem Arm spazieren ging. Wenn sie mir mit dem Abendessen aus der Klemme half, würde ich Hannah ihr unhöfliches Benehmen noch einmal nachsehen.
»Ich heiße Louisa.« Um in den Besitz des Topfes zu kommen, würde ich wohl als Gegenleistung ein paar mehr Infos als meinen Namen rausrücken müssen: »Ich bin Ninas Schwester aus Düsseldorf. Ich kümmere mich um meinen Schwager und die Kinder, solange Nina nicht da ist.« Aber das wusste Hannah, sofern sie nicht schwerhörig war, ja bereits seit gestern.
»Wirklich nett von dir, für Nina einzuspringen. Na, dann hoffen wir mal, dass deiner Schwester der Kuraufenthalt guttut.«
Sieh mal einer an, entweder hatte Daniel Hannah persönlich von Ninas »Kur« erzählt, oder die Neuigkeit hatte sich bereits herumgesprochen. Die Art der Betonung ließ jedoch vermuten, dass Hannah die Geschichte von Ninas Kuraufenthalt für genauso glaubwürdig hielt wie das Märchen vom Klapperstorch. Aber das war nicht mein Problem.
»Weiß man denn schon, wie lange Nina ...« Hannah zögerte kurz, so als suche sie nach den passenden Worten. »Weiß man denn schon, wie lange die Kur dauern wird?«
»Nein. Ich nehme an, das entscheiden die Ärzte vor Ort.«
»Aber man wird dich doch ganz bestimmt in Düsseldorf vermissen, oder etwa nicht?«, versuchte Hannah mich weiter auszuhorchen.
»Natürlich, aber wenn Not am Mann ist, muss man eben Prioritäten setzen.«
Obwohl Hannahs Neugier sicherlich längst noch
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