Maenner in Freilandhaltung
wies Daniel, der den Wortwechsel offenbar mitbekommen hatte, seinen ältesten Sohn kopfschüttelnd zurecht.
Als die Haustür hinter Daniel und den Jungs zuschlug – der gesuchte Anorak war zum Glück im letzten Moment wieder aufgetaucht –, ließ ich mich ermattet auf einen Küchenstuhl fallen, fuhr jedoch sofort wieder hoch, als ich merkte, dass ich mich in etwas Feuchtes gesetzt hatte. Ach, nur eine kleine Kakaopfütze, weiter nichts. Fix und fertig mit den Nerven goss ich mir einen neuen Kaffee ein, der alte war längst kalt geworden. Wie gerne hätte ich jetzt einen Blick in die Tageszeitung geworfen, doch die hatte Daniel bedauerlicherweise mitgenommen.
Da ich nichts Besseres zu tun hatte – der Haushalt läuft einem ja leider nicht davon –, machte ich eine kleine Erkundungstour durchs Haus. Natürlich hatte Daniel mich am Vorabend bereits herumgeführt, aber das war viel zu schnell gegangen. Neugierig sah ich mich um. Alles war mit viel Geschmack eingerichtet – allerdings handelte es sich dabei ganz bestimmt nicht um Ninas Geschmack! Meine Schwester, die von Beruf Grafikerin war, mochte es gerne bunt und knallig. In ihrer alten Wohnung war jedes Zimmer in einer anderen Farbe gestrichen gewesen, die Küche in einem sonnigen Gelb, das Badezimmer in Rosa und Pink, die Diele in Lindgrün – die Wände ihres neuen Zuhauses hingegen erstrahlten in lupenreinem Weiß. Dagegen kamen die Vorhänge, der Sofastoff, die Teppiche und anderen Einrichtungsaccessoires geradezu farbenfroh daher: champagnerfarben, elfenbein, creme, eierschalenfarben, sandfarben. Abgesehen von ein paar bunten Vorratsdosen auf der Küchenanrichte und einem roten Kissen in der Sofaecke, das in dieser Symphonie aus Beige und Braun wie ein Fremdkörper wirkte, suchte ich vergeblich nach Ninas Handschrift. Fast war es so, als hätte sie nie hier gewohnt. Andererseits hatte meine Schwester in den vergangenen drei Monaten bestimmt Wichtigeres zu tun gehabt, als sich häuslich einzurichten und sich um solche Nebensächlichkeiten wie Vorhänge und Bilder zu kümmern.
Apropos Bilder. Neugierig trat ich näher an die gerahmten Fotos heran, die über der Wohnzimmerkommode hingen. Außer von Christopher im Fußballtrikot und von Daniel mit den Jungs im Garten gab es auch eine Aufnahme von einer hübschen blonden Frau mit zwei Säuglingen auf dem Arm. Ich nahm an, dass es sich bei den entzückenden Babys um die Zwillinge handelte, und die Frau, die sie so zärtlich an sich drückte, musste ihre Mutter sein. Daniels erste Frau Kerstin war ein paar Monate nach der Geburt der Zwillinge bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein entgegenkommendes Auto war auf der Landstraße von der Fahrspur abgekommen, und Kerstin hatte es nicht mehr geschafft, rechtzeitig auszuweichen. Wie die Polizei im Nachhinein festgestellt hatte, war der Mann, der den Zusammenstoß verursacht hatte, zum Zeitpunkt des Unfalls stark alkoholisiert gewesen.
Beim Gedanken an diesen tragischen Schicksalsschlag musste ich unwillkürlich schlucken. Binnen Sekunden war nicht nur ein Menschenleben ausgelöscht, sondern das Glück einer ganzen Familie zerstört worden. Umso schöner, dass Daniel sich trotz der schrecklichen Ereignisse noch einmal neu verliebt hatte. Ich hoffte von Herzen, dass er und Nina ihre Probleme in den Griff bekommen würden.
Um den Kopf frei zu bekommen und mir einen Schlachtplan zurechtzulegen, denn den würde ich, so viel war mir nach dem heutigen Morgen klar, bestimmt brauchen, beschloss ich nach einer ausgiebigen Dusche, einen Spaziergang zu unternehmen. Dabei konnte ich mir gleich ein wenig die Umgebung ansehen. Als ich gerade das Haus verließ, öffnete sich die Eingangstür des Nachbarhauses. Eine gertenschlanke Blondine in einem rosafarbenen Seidenkimono, der gerade so mit Ach und Krach ihren Busen und den Hintern bedeckte, trat aus dem Haus, um die Zeitung zu holen. Als sie sich danach bückte, sprang der Kimono ein wenig auf und gab den Blick auf zwei wohlgeformte Brüste frei, die so perfekt waren, dass ich unwillkürlich an ihrer Echtheit zweifelte. Ich hätte schwören können, diese Frau schon mal irgendwo gesehen zu haben. Vielleicht am Zeitschriftenkiosk. Auf der Titelseite des Playboys? Als sie mich bemerkte, winkte sie huldvoll und verschwand dann wieder im Inneren des Hauses.
Was war bloß los in diesem Kaff? Wohnten hier denn überhaupt keine verschrobenen alten Frauen mit Hexenbuckel und Gicht? Schlammbäder, Fangopackungen mit Kuhmist,
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