Maenner in Freilandhaltung
meine Sitznachbarin stets in größter Gefahr schwebte, stellte ich mich auch beim Essen mit Stäbchen nicht besonders geschickt an. Zwei aufnehmen, zwei fallen lassen ... Mit einer Gabel einen Teller Suppe zu leeren, wäre bestimmt schneller gegangen. Aber wozu die Eile? Der Fisch konnte ja nicht kalt werden ...
Die mit Lachs gefüllten Maki, die ich als Erstes probierte, waren, genau wie Simon versprochen hatte, ein echtes Geschmackserlebnis. Allerdings ordnete ich sie der gleichen Erlebniskategorie zu wie Häuserbrände, Naturkatastrophen und Zugunglücke – alles Dinge, auf die ich gut verzichten konnte. Erschwerend kam hinzu, dass ich beim Anblick der kleinen, feucht glänzenden Lachsstückchen erneut an den Regenwurm denken musste, den Lukas sich zu Gemüte geführt hatte. Brrr, mich schüttelte es.
Gottlob kamen kurze Zeit später die Getränke, die wir nachbestellt hatten. Mit Flüssigkeit rutschte das Zeug eindeutig besser. Meine Cola war in null Komma nichts leer gewesen, dieses Mal hatte ich mich für einen Pfefferminztee entschieden, in der Hoffnung, dass das heiße Getränk den kalten Klumpen in meinem Bauch, der mit jedem Bissen größer zu werden schien, irgendwie auflösen würde.
Der Pfefferminztee war mit Abstand das Beste, was die Sushi-Bar bislang zu bieten gehabt hatte. Es handelte sich dabei nicht um die übliche Nullachtfünfzehn-Variante, bei der das Ende des Teebeutels wie das Rückholbändchen eines Tampons am Tassenrand herunterbaumelt, sondern um ein großes Glas mit jeder Menge frischer Minze.
»Vorsicht, heieieiß«, warnte mich die kleine Japanerin, die uns bediente, als sie das dampfende Getränk mit einem Lächeln, das in ihr Gesicht eingemeißelt zu sein schien, vor mir auf den Tisch stellte.
»Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, warum Japaner so alt werden?«, fragte mich Simon, als wir wieder allein waren.
»Äh ... nicht so direkt.« Nicht einmal indirekt. Aber da es Simon zu interessieren schien, wollte ich kein Spielverderber sein. »Vielleicht liegt das daran, dass sie so höflich sind und ständig lächeln«, riet ich, ohne mir vorher großartig Gedanken darüber zu machen. »Lachen ist gesund und gut für das Immunsystem. Das hängt irgendwie mit den Hormonen zusammen.«
»Interessante Theorie«, sagte Simon in dem gleichen Tonfall, in dem man ein Kind für seinen selbst gebastelten Weihnachtsbaumschmuck lobt, der frappierende Ähnlichkeit mit einer Panzerkette aufweist. »Aber die Wissenschaftler sind der Meinung, dass es an der Ernährung liegt, dass Japaner die höchste durchschnittliche Lebenserwartung der Welt haben.« Er deutete auf meine Sushi-Röllchen.
Meine Güte, obwohl ich tapfer einen Happen nach dem anderen herunterwürgte, war der Teller immer noch gut gefüllt. Schade, dass Ernie nicht hier war. Auch wenn Jan mir eingeschärft hatte, dass das Tier bei Tisch nicht gefüttert werden durfte – heute hätte ich bestimmt eine Ausnahme gemacht. Allerdings wagte ich zu bezweifeln, dass ein kluger Hund wie er den klebrigen Reis überhaupt anrühren würde, von dem kalten Fisch ganz zu schweigen.
»Sushi ist ein wahrer Jungbrunnen«, erklärte Simon, der mit gesundem Appetit zulangte, zwischen zwei Bissen geradezu euphorisch. »In Lachs und anderem fetten Fisch aus kalten Gewässern stecken unglaublich viele Omega-3-Fettsäuren, die das Herz und die Blutgefäße vor Alterserscheinungen schützen.« Er stocherte mit seinen Stäbchen auf seinem Teller herum und hielt etwas unappetitliches Grünes in die Höhe, das mich ein bisschen an vergammelten Spinat erinnerte. »Wusstest du, dass Meeresalgen unglaublich reich an Mineralien sind?«
»Nein, das wusste ich nicht«, kommentierte ich mäßig begeistert. Ich konnte ja verstehen, dass manche Frauen, wenn die Falten ausreichend tief und die Verzweiflung entsprechend groß war, sich so etwas Ekliges auf die Haut klatschten, aber essen? Pfui Teufel! Unter normalen Umständen hätte ich dieses Zeug niemals meine Lippen passieren lassen, nur Simon zuliebe überwand ich meinen Abscheu. Meine Schwäche für die goldene Möwe – das war der Deckname, den Pia und ich McDonald’s gegeben hatten – behielt ich fürs Erste für mich. Mit Pommes und Hamburgern konnte ich sicher nicht bei Simon punkten. Dann schon eher mit Rebeccas staubigen Vollkornkeksen. Vielleicht sollte ich mir bei Gelegenheit doch mal das Rezept von ihr geben lassen.
Nach diesem kleinen Exkurs zum Thema gesunde Ernährung
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