Maenner in Freilandhaltung
ich durch den Spion sah. Obwohl ich des Öfteren Simons Bild heraufbeschworen und versucht hatte, mir auszumalen, wie es sein würde, wenn wir uns wiedertrafen, stellte ich nun fest, dass diese Vorstellung der Realität in keinster Weise gerecht wurde. Seit wir uns das letzte Mal in der Kanzlei gesehen hatten, war sein blondes Haar noch eine Spur heller geworden, der schmal geschnittene anthrazitfarbene Anzug betonte seine athletische Figur. Simons Outfit sah mir keinesfalls nach Kneipenkost oder gutbürgerlicher Küche aus.
Die Hand schon auf der Türklinke, sah ich unschlüssig an mir herunter. Ich hatte mich für eine enge schwarze Hose und eine weiße Bluse entschieden, die ich durch einen schmalen Ledergürtel und eine lange silberne Kette mit einem rautenförmigen Anhänger aufgepeppt hatte. Im Prinzip völlig okay, doch dann wanderte mein Blick weiter zu meinen Füßen.
»Moment, ich komme gleich«, brüllte ich so laut, dass nicht nur Simon, sondern vermutlich das ganze Haus nun Bescheid wusste.
In Windeseile rannte ich ins Schlafzimmer, wo ich panisch die flachen Schuhe von den Füßen kickte und gegen hochhackige Pumps eintauschte. Viel besser, stellte ich mit einem prüfenden Blick in den Spiegel fest. So konnte ich mich an Simons Seite sehen lassen – sofern ich mir auf diesen Stelzen nicht vorher das Genick brach. Wie ein betrunkener Matrose wankte ich den Flur entlang. Mir kam es so vor, als hätte ich seit Ewigkeiten keine hohen Schuhe mehr getragen. Viel zu unpraktisch, wenn man hinter einem der Zwillinge herjagen musste oder Ernie plötzlich ausbüxte. Aber es sah nicht danach aus, als hätte Simon vor, mir an diesem Abend davonzulaufen. Ganz im Gegenteil! Als ich die Wohnungstür öffnete, zauberte er eine langstielige dunkelrote Rose hinter seinem Rücken hervor, die er mir mit einer galanten Geste überreichte.
»Eine schöne Blume für eine schöne Frau.«
Ich freute mich über das Kompliment. Zugegeben, es gab originellere, aber schließlich war Simon Steuerberater und kein Poet.
»Danke. Das wäre aber doch nicht nötig gewesen.« Och nö, wie gestelzt klang das denn bitte?! Wieso siezte ich ihn nicht gleich?
Auch ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, spürte ich, dass mein Gesicht sich peu à peu der Farbe der Rose anpasste. Verdammt, warum kann ich nicht ein bisschen cooler und souveräner reagieren?, ärgerte ich mich über mich selbst. Ein einfaches »Danke schön!« oder »Wie lieb von dir«, so wie neulich bei Jan, hätte völlig gereicht. Vor meinem geistigen Auge tauchte ein weißes Margeritensträußchen auf ... und Jans Lippen, die den meinen gefährlich nahe kamen. Ich versuchte, den Gedanken abzuschütteln, aber er verfolgte mich wie eine lästige Fliege. Musste das jetzt sein?! Warum dachte ich an Jan, wenn vor meiner Tür der Mann stand, von dem ich seit Monaten geträumt hatte? Völlig bescheuert! Vermutlich war mein schlechtes Gewissen schuld daran – für das es nicht einmal einen Grund gab. Zwischen Jan und mir war überhaupt nichts passiert!
Es ist nichts passiert, weil im fraglichen Moment das Telefon geklingelt hat, so sieht’s aus, meldete sich ein leises Stimmchen in meinem Hinterkopf klugscheißerisch.
Und wenn schon! Ich konnte tun und lassen, was ich wollte, und war niemandem Rechenschaft schuldig. Schließlich war ich Single und Jan genau wie Simon ein verdammt attraktiver Mann. Aber das waren ohnehin nur Äußerlichkeiten. Nicht dass diese überhaupt keine Rolle gespielt hätten – so naiv, mir das einreden zu wollen, war ich nun auch wieder nicht. Doch wenn es etwas gab, das ich bei einem Mann wirklich sexy fand, dann war es weder ein Knackarsch noch ein Sixpack, sondern ein messerscharf arbeitender Verstand. Und hierbei hatte Simon ganz klar die Nase vorn. Oder? Obwohl ... Auf den Kopf gefallen schien Jan auch nicht gerade zu sein.
»Bist du so weit?«, unterbrach Simon, der mich abwartend ansah, meine Grübeleien. »Wollen wir los?«
Ich nickte nachdrücklich. »Nichts lieber als das«, antwortete ich und griff nach meiner Handtasche.
Die Rose hatte Simon garantiert nicht aus irgendeinem Vorgarten geklaut, so viel stand fest. Er war ein echter Gentleman mit perfekten Manieren. Obwohl ich auch ohne sportliches Training ziemlich fit war und mich an die Aussichtsplattformen an meinen Füßen schnell wieder gewöhnt hatte, öffnete er mir die Autotür und half mir beim Einsteigen. Ich war gespannt, wo die Fahrt hingehen würde, doch Simon ließ
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