Maenner in Freilandhaltung
liege ich ja auch völlig falsch. Möglicherweise hattest du gar keinen Schiss, sondern konntest einfach nur meiner unglaublichen Anziehungskraft nicht widerstehen.«
»Als Kind bin ich von unserem Nachbarshund gebissen worden«, stellte ich die Sache schnell richtig.
»Ich verstehe.« Er streichelte noch einmal flüchtig über mein Knie, dann legte er seine Hand auf das Lenkrad zurück. »Glaub mir: Hunde sind nie von Natur aus böse. Wenn sie aggressiv reagieren, ist meistens bei der Erziehung oder im Umgang mit den Tieren etwas schiefgelaufen. Viele Hundebesitzer sind sich ihrer Verantwortung überhaupt nicht bewusst. Wenn du so willst, sind eigentlich die Menschen die gefährlichen Bestien.«
»Nur beißen die nicht«, konterte ich. Lukas war da eine Ausnahme, aber Ausnahmen bestätigten ja bekanntlich die Regel.
Mittlerweile waren wir am Wiesengrund angekommen. Jan stoppte den Wagen vor Daniels und Ninas Haus und stellte den Motor ab. Erwartungsvoll sah er mich an. Was, glaubte er, würde ich jetzt tun? Ihn noch auf ein Bier oder einen Kaffee hereinbitten? Ihm womöglich sogar einen Gutenachtkuss geben? Innerlich verwünschte ich Hannah, die mich in diese blöde Lage hineinmanövriert hatte.
»Ich sollte jetzt besser reingehen. Sicher sind Erika und Friedhelm froh, wenn ich sie von ihrem Babysitterdienst erlöse und sie endlich nach Hause gehen können.«
Jan sah auf seine Armbanduhr. »Ist ja auch schon spät.«
»Ganz genau.«
Spät, aber noch nicht zu spät, setzte ich im Stillen hinzu. Ich sollte besser ganz schnell verschwinden, bevor Jan auf die Idee kam, da weiterzumachen, wo wir beim letzten Mal aufgehört hatten. Mittlerweile war ich nämlich zu der Erkenntnis gelangt, dass die Störung so etwas wie eine göttliche Fügung gewesen war – und Frau Engel mein rettender Schutzengel. Jan zu küssen wäre nicht nur blöd gewesen, sondern saublöd! Das hätte nur alles unnötig kompliziert gemacht. Mein Leben, das war Düsseldorf, das war die Kanzlei, und das war Simon. Mir kam es so vor, als würde Hasslingdorf in so einer Art Paralleluniversum liegen. Doch schon bald würde ich wieder in meine Welt zurückkehren. In eine Welt, zu der Hunde keinen Zutritt hatten. Dass Jan sich ständig mit diesen unberechenbaren Kreaturen umgab, war an sich schon ein klares K.-o.-Kriterium. Darüber hinaus hielt ich nicht viel von Fernbeziehungen. Wenn man sich nur am Wochenende sah, hatte das mit dem wahren Leben meiner Meinung nach nicht viel zu tun.
Sollte ich Jan zuvorkommen und von mir aus das Thema ansprechen? Aber vielleicht war er ja auch nur einer spontanen Laune gefolgt und hatte gar nicht vor, den Kuss zu wiederholen. Ich wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen und tastete nach dem Türgriff. Doch bevor ich dazu kam, die Wagentür zu öffnen und schnell aus dem Auto zu springen, kam Jan näher und näher. Mein Herz klopfte wie ein Presslufthammer gegen meine Rippen, und mein Mund war mit einem Mal staubtrocken. Oh Gott, gleich würde er mich küssen! Der markante Duft von Jans Aftershave stieg mir in die Nase, und der raue Stoff seines Jeanshemdes scheuerte an meinem nackten Arm, als er sich zu mir herüberbeugte.
»Warte, ich helfe dir«, sagte Jan.
Schönen Dank. Aber mir war nicht zu helfen!
»Die Tür klemmt ein bisschen.« Ehe seine Worte sich den Weg durch meine Gehirnwindungen gebahnt hatten, packte er den Griff und betätigte ihn mit einem kurzen, kräftigen Ruck. Die Autotür schwang auf, und der Fluchtweg war frei.
»Tschüss. Und danke fürs Fahren«, murmelte ich und stieg mit wackeligen Knien aus Jans Pick-up.
»Gute Nacht!«, rief Jan mir hinterher. »Schlaf gut!«
Was das betraf, hatte ich so meine Zweifel.
Nachdem Erika und Friedhelm nach Hause gegangen waren – ich hatte ihnen Unrecht getan, die Jungs hatten bei meiner Rückkehr friedlich geschlummert –, setzte ich mich vor den Fernseher und wartete ungeduldig auf Daniel. Ich war ohnehin viel zu aufgedreht, um schlafen zu können. Abgesehen von der Sorge um Daniels eheliche Treue kreisten meine Gedanken ständig um die eine Frage: Wie hätte ich wohl reagiert, wenn Jan mich tatsächlich geküsst hätte?
»Weißt du es nicht, oder willst du es nicht wissen?«, fragte Jette am nächsten Vormittag, während sie Möhren für einen Gemüseauflauf putzte.
»Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht hätte ich ihm eine runtergehauen.«
Gedankenverloren schob ich ein paar Paprikawürfel auf meinem Schneidebrett hin und
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