Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
auch danach fällt Fred nichts wirklich Sinnvolles auf die Frage nach Behrmanns Motiven ein. Und das, da ist er sicher, liegt nicht an seinem immer noch benebelten Hirn. Es liegt einzig und allein an Jens-Uwe Behrmann, der irgendeinen schwer zu erratenden Grund für sein merkwürdiges Verhalten haben muss.
Fred setzt sich auf sein Ledersofa und greift zum Handy. Behrmanns Nummer hat er im Speicher, und schon nach kurzer Zeit ist der Politiker am Apparat. Seine Stimme klingt ruhig und gelassen, fast schon ein wenig erheitert.
»Hallo Fred. Geht’s besser?«
»Etwas, danke. Tut mir leid wegen vorhin. Ich war wohl nicht ganz auf der Höhe.«
»Kein Problem. Erinnerst du dich überhaupt an die letzte Nacht?«
»Kann ich nicht gerade behaupten. Gibt es etwas, das ich wissen müsste?«
»Eigentlich nicht. Ich kann dir aber gern eine grobe Übersicht liefern. Nach dem Essen waren wir in einer Bar. Dein Vorschlag, aber der Strip war lausig. Dann sind wir zurück auf die Straße, da war’s bestimmt schon zwei, aber die Bude am Bahnhof hat uns freundlicherweise weiterversorgt. Danach sind wir durch Westerland gezogen und irgendwann am Strand gelandet. Du wolltest da unbedingt hin, weiß der Teufel warum. War ja vielleicht auch keine schlechte Idee. Wir haben bestimmt noch drei Stunden im Strandkorb gesessen und uns unser Leben erzählt. Ich hab dich dann gegen fünf verlassen, du wolltest immer noch nicht vom Strand weg, hast aber ziemlich stabil auf mich gewirkt und scheinst ja auch irgendwie den Weg nach Hause gefunden zu haben.«
Fred Hübner überlegt kurz, ob er von seinem Gastspiel bei der Polizei berichten soll, entscheidet sich allerdings dagegen. Gleichzeitig fällt ihm auf, wie merkwürdig es ist, dass der Politiker den Leichenfund nicht erwähnt. Müsste er Fred nicht längst gefragt haben, ob er irgendetwas davon mitbekommen hat? Denn dass Jens-Uwe Behrmann bis zum späten Nachmittag keine Nachrichten gehört haben sollte, das kann sich Fred eigentlich nicht vorstellen.
»Und wir haben uns also aus unserem Leben erzählt, sagst du?«, versucht er möglichst unauffällig wieder an das vorherige Gesprächsthema anzuknüpfen.
»Ich bin gern bereit, dir bei Gelegenheit meinen Teil der Unterhaltung zu wiederholen. Oder weißt du noch was davon?«
»Nicht so richtig«, erklärt Fred kleinlaut. »Tut mir leid, wenn ich dich völlig umsonst ausgequetscht haben sollte. Als ich vorhin aufgewacht bin, habe ich mich noch nicht mal in Zeit und Raum zurechtgefunden. Schätze, dass ich haarscharf am Alkoholtod vorbeigeschrammt bin. Na ja, was soll’s, ich war schon immer ein Glückspilz, auch wenn die Erinnerungen an alles, was ich hier in meiner Wohnung schon erleben musste, mich wieder haben zweifeln lassen, ob es wirklich eine gute Idee war, die Bude nach dem Gemetzel vom letzten Sommer überhaupt zu behalten.«
Jens-Uwe Behrmann schweigt einen Moment, so dass Fred schon denkt, der andere habe vielleicht das Telefon beiseitegelegt. Doch dann kommt die Stimme des Politikers plötzlich laut und energisch aus dem Handy.
»Hör mal, Fred, wenn du überlegst, dich zu verändern, dann habe ich vielleicht etwas für dich.«
»Was denn? Sprichst du von einer Wohnung? Vergiss es. Das kann ich mir nicht leisten. Ich hab die alte noch längst nicht abbezahlt, und du weißt wahrscheinlich besser als ich, wie hoch die Nebenkosten bei Kauf und Verkauf sind.«
Behrmann lacht. »Ich bin doch nicht unter die Makler gegangen, was glaubst du denn. Nein, ich besitze immer noch die Wohnung meiner Mutter. Sie ist vor einigen Jahren gestorben, und es müsste dringend mal renoviert werden. Aber die Lage ist super, und der Ausblick ein echter Hit, ich stehe nämlich gerade am Fenster und kann bis nach Wenningstedt gucken. Und über kurz oder lang will ich die Bude ohnehin vermieten, also wenn du Interesse hast … Ich würde dir einen Freundschaftspreis machen.«
»Wo ist die Wohnung denn?«
»Westerland. Im Kurzentrum. Elfter Stock.«
Fred weiß plötzlich so sicher wie noch nie zuvor, dass er gar nicht aus seiner Maisonette wegziehen will. Aber gleichzeitig wird das Gefühl immer stärker, dass mit Behrmann etwas nicht stimmt.
»Wie lange bist du noch in der Wohnung?«
»Ich wollte nachher zurück aufs Festland.«
Fred sieht auf die Uhr. »Ich könnte in einer halben Stunde da sein. Sagen wir um fünf?«
»Okay. Ich erwarte dich«, antwortet Jens-Uwe Behrmann und nennt Fred die genaue Adresse.
Donnerstag, 23. Juni,
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