Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
möglichst schnell herausfinden, wem die rätselhafte Nummer gehört«, schlägt Silja vor.
»Das wird nicht so einfach sein. Solange wir keinen begründeten Verdacht haben, kriegen wir da keine Auskunft. Außerdem kann das eben am Telefon auch der letzte Spinner gewesen sein«, stöhnt Bastian.
»Dann stehen wir jetzt also wieder ohne jeden Hinweis da«, sagt Sven mutlos.
»Leider«, gibt Bastian zu. »Außer der Telefonnummer hat der Anrufer kein Detail genannt, nichts, was irgendjemanden belasten könnte. Das heißt wahrscheinlich, er weiß auch nichts.«
»Genau«, murmelt Sven. »Da wollte einer einfach nur mit Scheiße werfen.«
»Oder eine «, wirft Silja ein. »Hast du nicht gesagt, Bastian, es hätte auch eine Frau sein können?«
Bastian nickt kraftlos. Nur jetzt keine Geschlechter-debatte vom Zaun brechen, denkt er. Aber Silja hat anderes im Sinn.
»Wenn es eine Frau war, dann schweigt sie vielleicht, um sich zu schützen.«
»Ja und? Was nutzt uns das jetzt?«, will Bastian wissen.
Plötzlich schlägt sich Silja mit der flachen Hand vor die Stirn.
»Mist, verdammter. Ich habe in der ganzen Aufregung etwas vergessen. Wahrscheinlich ist es nicht wichtig, aber ich will doch noch mal nachhaken.« Sie greift zum Handy.
»Worum geht’s denn?«, erkundigt sich Sven.
»Na ich habe doch den Koffer von Marga Mönchinger auf dem Westerländer Bahnsteig entdeckt, und dann war er plötzlich weg.«
»Und weiter? Der Koffer ist schließlich in Niebüll wieder aufgetaucht«, brummt Bastian.
»Ja, aber wer hat ihn dorthin gebracht?«
Während sie redet, sucht Silja eine Nummer aus ihrer Kontaktliste und wählt sie an.
»Na, die Mönchinger, wer sonst?« Bastian verdreht die Augen.
»Die habe ich auf dem Bahnsteig aber nicht gesehen. Und meine Freundin auch nicht. Sie ist nämlich im gleichen Zug gefahren wie der Koffer und …«
Silja unterbricht sich, weil am anderen Ende der Leitung abgenommen wird. Die Kommissarin sprudelt ein paar Begrüßungsworte heraus, dann verstummt sie plötzlich.
Nach einigen Sekunden flüstert sie: »Bitte sag, dass das nicht stimmt!«
Entsetzen spiegelt sich auf Siljas Gesicht. Schnell dreht sie sich um und verlässt mit dem Handy am Ohr den Raum. Fast stolpert sie über die Schwelle, so eilig hat sie es, den neugierig lauschenden Kollegen zu entkommen.
Donnerstag, 23. Juni, 16.30 Uhr,
Othmarschener Landstraße,
Hamburg
Judiths Scham blutet nicht mehr, aber die Haut am Unterbauch ist inzwischen blaugrün angelaufen. Zwar ist die aufgeplatzte Stelle an der linken Seite durch die frische Naht versorgt, aber Judiths Kiefer, der sich taub anfühlt, sollte dringend untersucht werden. Das Atmen fällt ihr immer noch schwer, als presse die Hand dieses widerlichen Kerls weiterhin ihre Kehle zusammen. Dabei hat er schon vor über zwölf Stunden von ihr abgelassen.
Jetzt steht Judith im Badezimmer ihres kleinen Apartments, betrachtet ihren misshandelten Körper im Spiegel und denkt darüber nach, wie ausgerechnet ihr so etwas passieren konnte. Der gestrige Abend hatte sich doch in nichts von vielen anderen dieser Art unterschieden. Der Kunde war ihr von der Agentur vermittelt worden. Er hatte sich als Arne Müller vorgestellt und Judith zu einem Empfang mitgenommen, wo ebenso langweilige Typen wie er selbst einer war, über Aktien, Frauen und den neuesten Porsche redeten. Judith hatte getan, was man von ihr erwartete, nämlich geschwiegen und gelächelt und damit das Sozialprestige von Arne, dem langweiligen Banker, durch ihre physische Anwesenheit erheblich gesteigert. Man hatte an den Gesichtern seiner Geschäftspartner deren Gedanken ablesen können. Was muss das für ein toller Hecht sein, wenn er so eine scharfe Frau halten kann. Am Ende des Abends hatte Arne die übliche Frage gestellt. Ob sie auch für mehr zur Verfügung stünde? Judith hatte klar und deutlich abgelehnt und darum gebeten, dass er sie nach Hause bringen möge. Arne schien noch nicht mal beleidigt zu sein, das hätte sie eigentlich stutzig machen müssen. Aber sie war eher ein wenig beschämt gewesen, als Arne nur ein wenig lächelte und sie fast unterwürfig um einen letzten Gefallen bat.
Er plane, eine Eigentumswohnung zu kaufen, die Wohnanlage würde gerade erstellt, und der Rohbau sei gleich um die Ecke. Ob Judith nicht kurz mit hinüberkommen könne, um einen Blick auf Lage und Schnitt der Wohnung zu werfen? Ihre Meinung sei ihm wichtig. Judith fand sein Ansinnen kurios, sie war ungeduldig, sie
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