Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
erscheint, dann könnte er zumindest etwas beobachtet haben. Und das wiederum könnte unser anonymer Anrufer gewusst haben. Aus welchen Gründen auch immer.«
»Also auf zu der Wohnung, würde ich sagen.«
Während Sven schon nach Handy und Dienstwaffe greift, hebt Silja kurz die Hand.
»Einen Moment noch. Was haltet ihr davon, wenn ich mich bei Behrmanns Frau erkundige, wo er jetzt gerade ist.«
»Nicht gut«, wehrt Bastian ab. »Wir fahren schnell im Kurzentrum vorbei und gucken mal. Der anonyme Anrufer wird seine Gründe gehabt haben, uns ausgerechnet jetzt zu benachrichtigen. Vielleicht haben wir Glück und treffen diesen Behrmann sogar direkt an.«
Donnerstag, 23. Juni, 17.02 Uhr,
Kurzentrum Westerland
Als Fred Hübner vor dem massigen Hochhauskomplex, der seit den sechziger Jahren Westerlands Zentrum überragt, aus dem Taxi steigt, bereut er seinen überstürzten Aufbruch bereits. Immer noch brummt sein Schädel, der Magen fühlt sich instabil an, und der Kreislauf war auch schon mal fitter. Schwer atmend schleppt sich Fred zum Eingang, wo er sich von der Fülle der Namensschilder schier erschlagen fühlt. Doch ein Blick die Fassade hinauf erklärt alles. Die grauen Mauern der kubischen Wohnblöcke werden nur durch das Raster der dicht an dicht gesetzten Balkone unterbrochen. Fred weiß nicht genau, wie groß die Wohnungen sind, schätzt aber, dass nur wenige mehr als einen Balkon haben dürften, was sofort die Anzahl der Namensschilder erklärt.
In einer der oberen Reihen findet Fred bald, wonach er sucht. J.U.B., mehr steht nicht auf dem Klingeltaster. Nachdem Fred ihn gedrückt hat, ertönt sofort der Summer, als habe Behrmann direkt neben der Tür gewartet. Auch der Fahrstuhl ist gerade unten, so dass der Journalist wenig Gelegenheit hat, sich umzusehen. Leise hebt der Lift ab und spuckt Fred kurz darauf in einem Vorraum aus, der zu dem niedrigen und schmalen, aber endlos lang scheinenden Flur führt, von dem die Wohnungstüren abgehen. Jens-Uwe Behrmann bewohnt eines der nah am Fahrstuhl gelegenen Apartments und wartet schon auf Fred. Er gestikuliert heftig, um den Gast zur Eile anzutreiben, und zieht ihn sofort in seine Wohnung.
Sofort beschleicht Fred ein beklemmendes Gefühl. Mit leisem Grauen mustert er eine Einrichtung, die verschlissen und ungepflegt wirkt und ihre beste Zeit schon lange hinter sich hat. Doch der Politiker lässt Fred keine Zeit, sich in Ruhe umzusehen. Hastig erklärt er: »Du, tut mir leid, aber ich muss gleich auf den Autozug. Mein Büro hat angerufen, da gibt es etwas Dringendes, das keinen Aufschub duldet.« Behrmann drückt seinem Gast einen Schlüsselbund in die Hand. »Fühl dich wie zu Hause. Ich bin frühestens in drei Wochen wieder hier. Du kannst gern probewohnen oder wonach auch immer dir ist. Über die Konditionen sprechen wir später.«
»Aber eigentlich …«, beginnt Fred seine Gegenrede, kommt aber nicht über die paar Worte hinaus.
»Tut mir echt leid, wie gesagt, aber ich muss jetzt los. Der Zug wartet nicht, und ich will den um sechs noch erwischen.« Schnell greift Behrmann nach einem Rollkoffer, der die ganze Zeit neben der Tür gestanden hat, und eilt damit zum Lift.
Sprachlos bleibt Fred in der Diele zurück. Der Autozug fährt zur vollen Stunde, wie er weiß, und mit dem Wagen braucht man selbst im Stau kaum mehr als zwanzig Minuten zur Verladestation. Aber Behrmann ist bereits im Fahrstuhl verschwunden, bevor Fred, der im Moment nicht der Schnellste ist, noch etwas sagen kann. Also drückt er die Wohnungstür ins Schloss, dreht sich um und geht langsam ins Wohnzimmer zurück. Durch das große Fenster quillt helles Nachmittagslicht und beleuchtet ein abgeschabtes Sofa von undefinierbarem Grau, das so schief im Raum steht, als habe ein unaufmerksamer Möbelpacker es dort abgeladen. Falsche Stilmöbel, die ihre Kaufhausherkunft nicht verleugnen können, rahmen es ein. Eine Vitrine, eine Anrichte und gegenüber ein Fernsehschrank, dessen linke Tür offen steht und den Blick auf einen leeren Innenraum freigibt. Kopfschüttelnd zieht Fred die vergilbte Gardine beiseite und öffnet die Balkontür. Sofort fühlt er sich besser.
Eine frische Nordseebrise verdrängt mit ihrem Duft nach Salz und Tang die abgestandene Luft der Wohnung. Die Geräusche des nahen Strandes überdecken die gespenstische Ruhe des Raumes. Staub tanzt im Sonnenlicht, Kinderstimmen hallen herauf. Fred tritt auf den Balkon und beugt sich über das Geländer. Die Wohnung ist nach
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