Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Norden ausgerichtet, so dass Fred den weißen Strand kilometerweit bis fast nach Wenningstedt überblicken kann. Direkt seitlich von ihm erstreckt sich die belebte Strandpromenade mit dem schmalen Sandstreifen, weiter nördlich kommt ein ruhigerer Abschnitt, der auch mit Strandkörben bestückt ist. Irgendwo dort ist Fred heute früh aufgewacht. Ganz in der Nähe der zweiten Toten. Ein merkwürdiger Zufall?
Fred ist froh über die schattige Lage des Balkons, er braucht jetzt dringend einen ruhigen und kühlen Platz zum Nachdenken. Da nur ein klappriger Plastikstuhl den Balkon möbliert, lässt sich Fred darauf fallen und schließt die Augen.
Was ist hier eigentlich los? Natürlich müsste er stolz darauf sein, dass sein Instinkt ihn auch diesmal nicht getrogen hat. Das Verhalten Jens-Uwe Behrmanns ist alles andere als normal. Aber was mag der Grund für diese merkwürdige Mischung aus Zutrauen und Distanz sein? Ist dem Politiker selbst aufgegangen, dass er sich mit der gemeinsam durchzechten Nacht keinen Gefallen getan hat, und versucht er jetzt, einerseits den Imageschaden für sich zu begrenzen und andererseits den nötigen Abstand zwischen Autor und Gegenstand der Biographie wiederherzustellen? Wahrscheinlich. Vielleicht hat der Typ einfach selbst einen Kater und ist daher im Moment auch nicht der Schnellste im Kopf, überlegt Fred gerade, als es an der Tür klingelt. Dreimal hintereinander und ziemlich stürmisch.
Ächzend steht er auf und wankt zurück in den Wohnraum. So gut das Sitzen seinem Kreislauf bekommen ist, so wenig angenehm ist das Laufen. Irgendetwas scheint mit seinem Gleichgewichtssystem ganz und gar nicht in Ordnung zu sein. Schon nach den ersten Schritten strauchelt Fred. Er versucht zwar noch, sich an der Anrichte festzuhalten, aber seine Knie knicken ein, und er geht zu Boden.
An der Tür klingelt es noch einmal.
Völlig klar, dass Behrmann es eilig hat. Vermutlich hat er irgendetwas Wichtiges vergessen, keinen zweiten Schlüssel dabei und fürchtet nun, den Autozug zu verpassen.
Fred rappelt sich auf. Kurz krallt sich seine Hand in den Teppichboden, wobei die Kunstfaser unangenehm unter den Nägeln schabt. Dann ist er auf den Knien und kann sich an der Anrichte hochziehen. Schwankend geht er in die Diele und drückt auf den Türöffner. Weil ihm schon wieder schlecht wird, macht er auch die Wohnungstür gleich auf. Einige Sekunden horcht er auf die Geräusche des Fahrstuhls, dann tastet er sich an der Wand entlang zurück in den Wohnraum, wo er sich stöhnend aufs Sofa fallen lässt. Ein Schwall von kaltem Schweiß tritt plötzlich aus all seinen Poren und durchnässt das Poloshirt in Sekundenschnelle. Fred Hübner fühlt sich wie ein Weib in den Wechseljahren. Er schließt die Augen und fährt sich mit beiden Händen durchs Gesicht.
Kurz darauf hört er Stimmen aus der Diele. Sie kommen ihm bekannt vor, ohne dass er sie gleich zuordnen könnte. Nur eines weiß es genau. Jens-Uwe Behrmanns Stimme ist nicht darunter.
Donnerstag, 23. Juni, 17.04 Uhr,
Zwischen den Hedigen,
Westerland
Wie ein Spürhund bewegt sich Hubert Mönchinger durch die Kellerräume seines Hauses. Als Erstes nimmt er sich die Waschküche vor, in der er sich sonst fast nie aufhält. Christa erledigt die ganze Wäsche, sie bügelt auch, und manchmal näht sie hier unten sogar. Es herrscht eine angenehme Kühle in dem Raum, die vielleicht helfen kann, Hubert Mönchingers erhitztes Gemüt zu besänftigen. Es ist nicht so, dass ihm leidtut, was er seiner Schwester angetan hat. Allzu oft hat er sich in der Vergangenheit schon zurückhalten müssen, um ihr nicht unversehens eine zu kleben oder sie einfach mal zu schubsen. Ständig hat sie ihn provoziert. Meistens, wenn Marga nicht dabei war. Es schien ihm manchmal sogar, als ob Christa auf irgendeine merkwürdige Weise Angst vor Marga hatte, ein Umstand, den er nicht ohne hämische Freude zur Kenntnis nehmen konnte. Aber vielleicht ist es gerade diese Angst gewesen, die Christa am Ende zu einer Brutalität getrieben hat, die Hubert sich immer noch nicht in letzter Konsequenz vorstellen kann.
Deshalb ist er ja auch im Keller auf Beweissuche.
Die Vorratskammer ist ziemlich feucht und riecht muffig. An den Wänden sitzen pudrige Schimmelsporen, und auf Regalbrettern und Konservendosen liegt Staub. Der Raum ist nicht besonders groß, und Hubert Mönchinger glaubt nicht, dass Christa ausgerechnet hier eine Gefangene festgehalten haben sollte. Hinter der schweren Stahltür
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