Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
zehn oder zwanzig solcher Anrufe vor sich hat. Bei acht Patienten am Tag kommt da schon einiges zusammen.
Genüsslich malt sich Hübner die Pein und die Scham seines Analytikers aus. Erst dann fällt ihm ein, dass vielleicht auch seine Aussage zu der ungewöhnlichen Therapiesitzung von Wichtigkeit sein könnte.
Nicht schon wieder zu den Bullen, ist sein spontaner Impuls und der ist ziemlich stark. Möglicherweise würde sich sogar eine kleine Privatrecherche anbieten, auch wenn er sich so etwas für die Zukunft eigentlich strikt verboten hat.
Dienstag, 21. Juni, 19.40 Uhr,
Gosch am Hafen, List
»Champagner?«, Marleen hebt überrascht die Augenbrauen, als der Kellner die bestellte Flasche öffnet und die beiden Kelche füllt. »Gibt es etwas zu feiern?«
»Ich hoffe doch«, antwortet Manfred Pabst charmant, hebt sein Glas und lässt den Inhalt im abendlichen Sonnenlicht perlen.
Marleen und er sitzen auf dem nördlichsten Platz der nördlichsten Restaurantterrasse Deutschlands. Es ist ein für Sylter Verhältnisse ausgesprochen milder Sommerabend und rund um den hohen Ecktisch, an dem das Pärchen auf Barstühlen thront, sind alle Plätze belegt. Doch wenn die beiden den anderen Gästen den Rücken zuwenden, haben sie die grandiose Aussicht ganz für sich allein. Das Lister Hafenbecken mit den schaukelnden Booten. Die Fähre, die in einer großen Kurve gerade auf ihren Kurs in Richtung der dänischen Insel Rømø einschwenkt. Den weiten Landarm des Ellenbogens, der sich wie ein schützender Wall um die Nordseite der Insel zieht. Und über allem die immer noch warme und strahlend helle Abendsonne, deren Schein heute erst gegen halb zwölf Uhr nachts völlig verschwunden sein wird.
»Auf die längste Nacht des Jahres – und auf uns!« Pabst stößt mit seiner Freundin an und nimmt dann mit geschlossenen Augen den ersten Schluck. »Köstlich«, befindet er. »Die Witwe Cliquot im Abendlicht. Dazu eine schöne Frau und eine grandiose Aussicht. So muss es im Paradies sein. Oder was meinst du?«
»Der Champagner ist perfekt temperiert und die Aussicht wie immer phantastisch. Nur du bist irgendwie anders«, antwortet Marleen zögernd.
Natürlich liegt ihr nichts daran, den Zauber des Abends zu zerstören, aber sie wundert sich ziemlich über den plötzlichen Sinneswandel ihres Geliebten. War er es doch sonst immer, der größten Wert auf eine ausgewogene Mischung aus Distanz und Nähe gelegt hat, so benimmt er sich heute Abend gerade so, als wolle er ihr einen Heiratsantrag machen. Dabei hat er in der Vergangenheit schon den kritischen Beobachter herausgekehrt, wenn sie mal ein paar Tage hintereinander bei ihm übernachtet hat. Leider ist seine Lister Wohnung so viel schöner und größer als ihr Souterrain-Apartment in Klanxbüll, dass sie nur allzu gern bei ihm ist. Und außerdem kann sie die Apotheke, in der sie arbeitet, von Manfred Pabsts Haus aus zu Fuß erreichen.
»Ich bin nicht anders als sonst. Oder warte, vielleicht bin ich es doch.« Ein schelmisches Lächeln erscheint auf Pabsts Gesicht, das Marleen ihm nie im Leben zugetraut hätte. »Ich habe nämlich nachgedacht. Über uns.«
»Aha.«
»Sei nicht so cool, ich bitte dich. Ich bin schließlich gerade dabei, dir in aller Form eine Liebeserklärung zu machen.«
Jetzt muss Marleen doch lächeln. Sie schließt kurz die Augen und hebt das Gesicht ins Sonnenlicht. So wie die warmen Strahlen von außen ihre Haut streicheln, so gut tun ihr auch die Gefühle, die plötzlich ihr Inneres durchfluten. Sollte sie es tatsächlich geschafft haben, die Mauer aus Ironie und wohldosierter Distanz zu überwinden, die Manfred Pabst stets um sich zu errichten pflegt? Besorgt öffnet sie die Augen und mustert Pabsts Gesichtsausdruck. Die reine Zuneigung strahlt ihr entgegen. Vorsorglich verzichtet Marleen auf jeden Kommentar und vertieft nur ihr Lächeln.
»Ich möchte, dass du zu mir ziehst, Marleen. Ich hätte dich schon längst darum bitten sollen«, sagt Pabst jetzt leise. »Es würde mich freuen, jeden Morgen neben dir aufzuwachen. Vorausgesetzt natürlich, dir geht der Anblick meines immerhin etwas in die Jahre gekommenen Körpers nicht auf den Nerven.«
Tatsächlich erscheint nun etwas wie Verzagtheit auf Pabsts Gesicht und verleiht seinen Zügen eine ungewohnte Milde. Gerührt greift Marleen nach seiner Hand.
»Du weißt wahrscheinlich ganz genau, dass ich mir das immer gewünscht habe, oder?«
»Woher sollte ich das wissen, meine Schöne?« Pabst zieht
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