Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
der Typ sich als Huberts Analytiker vorgestellt hat. Bisher wollte sie die pikante Information, dass Hubert einen Seelenklempner braucht, lieber für sich behalten und irgendwann gegen den Bruder verwenden. Aber jetzt stellt sich die Situation anders dar. Denn wahrscheinlich wusste dieser Typ, an dessen Namen sie sich leider nicht mehr erinnern kann, viel mehr über Marga als alle anderen. Warum sollte er dieses Wissen nicht ausgenutzt haben? Vielleicht hat er sie erpresst? Vielleicht war er sogar scharf auf sie? Schließlich lag in Margas Vergangenheit einiges im Argen. Zur Not könnte Christa sogar den Aktenordner herausrücken, auch wenn sie das nur sehr ungern tun würde. Und wahrscheinlich wird es auch nicht nötig sein, denn theoretisch könnte dieser Analytiker sogar die Nutte vom Strand umgebracht haben. Immerhin war er zur Tatzeit in Westerland. Soll sich die Kriminalpolizei doch zur Abwechslung erst mal mit dessen Alibi beschäftigen.
Energisch greift Christa Mönchinger nach den Schlüsseln für Auto und Haus. Sie wird das sofort erledigen. Und solange sie auf der Polizeidienststelle sitzt und ihre Aussage macht, kann wenigstens auch keine der tratschsüchtigen Nachbarinnen sie erreichen.
Dienstag, 21. Juni, 15.44 Uhr,
Hörsaal der Universität Hamburg
Das Licht geht aus. Auf der breiten Leinwand oberhalb des Rednerpults erscheint eine magische Szene: Vor pompejanischem Rot und zwischen grazil gemalten Säulen bewegen sich Apollo und Venus inmitten junger Bewohner der untergegangenen Stadt. Raffiniert wehen Schleier über Faltenwürfe, schimmert Stoff durch Chiffon. Die annähernd 2000 Jahre alten Fresken entfalten selbst in der Wiedergabe einen Zauber, dem sich wohl keiner der anwesenden Studenten entziehen kann.
»Schau mal, diese Farben«, wispert Judith Silja ins Ohr. »Wie ein ganzes Gewürzlager. Zimt, Safran und dazwischen Hibiskusrot.«
»Aber auch sehr königlich«, gibt Silja flüsternd zurück. »Allein die Kombination von Türkis, Gold und Violett ist doch hinreißend.«
Die Stimme des Dozenten unterbricht das leise Gespräch.
»Die Entstehung dieser meisterhaften Fresken lässt sich ziemlich genau datieren. Zwischen 62, als der römische Imperator Nero die Pompejanerin Poppaea heiratete, und dem Tod Neros sechs Jahre später müssen diese Wandbilder gemalt worden sein. Eventuell war Poppaeas plötzlicher Tod drei Jahre nach der Eheschließung der Anlass für eine Auftragsarbeit, mit der die Pompejaner sich die Gunst Neros sichern wollten.«
Ein neues Bild erscheint auf der Leinwand. Vor schimmernd schwarzem Hintergrund steht gebückt ein Mädchen seitlich der Venusfigur und ordnet die Saumfalten am Prunkgewand der Göttin. Der Laserpointer des Dozenten umkreist für einige Sekunden die Kindergestalt.
»Möglicherweise handelt es sich bei diesem Fresko aus einem Nebenraum um ein Bildnis der Claudia, der frühverstorbenen Tochter Neros und Poppaeas. Auch hier ist die Absicht klar. Indem der Tochter des Imperators eine so bedeutende Funktion als Gesellin der Göttin zugeteilt wird, soll sie in ihrem Rang erhöht werden.«
Wieder beugt sich Judith zu ihrer Freundin hinüber.
»Ist das nicht beeindruckend, was die Kunstgeschichte alles aus so wenigen Details schließen kann? Obwohl du so etwas wahrscheinlich kennst, oder? Schließlich arbeitet ihr bei der Kripo ja mit ganz ähnlichen Verfahren.«
»Nur ist das, was wir zu sehen bekommen, in der Regel nicht annähernd so hinreißend wie diese Fresken.«
»Aber ihr müsst auch in den Details lesen, so wie die Kunsthistoriker in den Werken vergangener Epochen. Je länger ich darüber nachdenke, umso besser verstehe ich, was dich an unserem Studium faszinieren muss.«
»Wenn du willst, dann könntest du mir bei einer dieser Knobelaufgaben sogar helfen«, antwortet Silja, während auf der Leinwand weitere Bilder erscheinen. Ein die Lyra schlagender Apollo wird als nur diskret kaschiertes Porträt Neros identifiziert, und Thalia, die Muse aller Dichter, trägt die Gesichtszüge Poppaeas.
»Ich helfe dir gern. Worum geht’s denn?«
Silja räuspert sich und schweigt noch einen Moment. Ihr ist etwas unbehaglich zumute, aber andererseits hat sie sonst keine Möglichkeit, an die gewünschten Informationen zu kommen.
»Es geht um deinen lukrativen Nebenjob.«
»Hab ich’s mir doch gedacht, dass dir das keine Ruhe lässt«, antwortet Judith schmunzelnd.
»Na ja, so schlimm ist es auch wieder nicht. Aber ich wüsste gern, wie du …«,
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