Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
Insel, und man könne sich gern treffen. Ob er das Restaurant Schneckenhäuschen in Westerland kenne? Als Fred verneint, gibt er ihm die Adresse durch.
»Also morgen um acht«, beschließt der Politiker das Telefonat.
»Wunderbar. Ich freue mich auf unser Gespräch.«
»Ich auch. Bis später also.«
Fred öffnet sein iPad, um Ort und Zeit im Kalender einzutragen. Selbstverständlich würde er die Verabredung auch sonst nicht vergessen, aber eine akkurate private Terminführung gehört zu den Gerüsten, die er sich nach den Ereignissen des letzten Sommers als Stützen in den Alltag eingebaut hat. Und wer weiß schon, ob er nicht später einmal den genauen Termin ihres ersten Gesprächs recherchieren möchte. Routinemäßig checkt Fred, da er schon mal am Bildschirm sitzt, gleich noch die Nachrichten. National und international ist alles ruhig, offenbar beginnt in diesem Jahr die Sommerflaute schon im Juni.
Doch als Fred ganz zum Schluss die Startseite des Sylter Anzeigers aufruft, wird er stutzig. Dort springt ihm als neueste Meldung ein Phantombild entgegen, das ihm sofort bekannt vorkommt. Wenn das nicht sein Analytiker ist, dann weiß er auch nicht. Nachdenklich betrachtet er die Zeichnung und liest den dazugehörigen Text. Der Abgebildete habe in der Mordnacht gegen Mitternacht an der Tür des Wohnhauses einer kurz vorher verschwundenen Frau geklingelt. Dort habe er nach deren Ehemann gefragt. Es sei also nicht auszuschließen, dass der Gesuchte Angaben zum Verbleib der gesuchten Frau machen könne, darum werde er dringend aufgefordert, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen.
Fred versteht nur Bahnhof. Es gibt außer der Toten noch eine Vermisste? Warum war davon bisher nichts zu lesen?
Neugierig geworden folgt er einem Link und stößt auf das Porträtfoto einer rothaarigen Schönheit im Brautkleid, die ziemliche Ähnlichkeit mit der Toten vom Strand hat. Sie werde tatsächlich vermisst, liest er, und zwar genau seit der Mordnacht. Bisher sei ermittelt worden, ohne die Öffentlichkeit einzubeziehen, aber jetzt habe die Polizei ihr Vorgehen korrigiert und suche nun dringend nach dem kahlköpfigen Herrn auf dem Phantombild.
Ungläubig schüttelt der erfahrene Journalist Fred Hübner den Kopf.
Wenn man hier zwei und zwei zusammenzählt, dann läuft es doch darauf hinaus, dass ausgerechnet Manfred Pabst, der Staranalytiker, nachts über die Insel schleichen und geile Bräute kidnappen soll. Kidnappen und kaltmachen, korrigiert sich Fred Hübner und versucht, diese Vorstellung mit seinem Eindruck von Manfred Pabst in Einklang zu bringen.
Dass man nicht ganz richtig im Oberstübchen sein kann, wenn man sich jahrzehntelang tagtäglich die Wahnvorstellungen anderer Leute anhört, leuchtet ihm unmittelbar ein. Aber dass man dabei gleich zum Triebtäter mutieren soll, ist vielleicht doch ein wenig überzogen. Andererseits … Fred blättert kurz in seinem elektronischen Kalender … war Pabst an dem Tag nach dem Mord tatsächlich ziemlich neben der Kappe. Allzu deutlich erinnert sich Fred an die Unkonzentriertheit, Fahrigkeit und sichtliche Nervosität seines Analytikers bei dieser Sitzung.
Das Klingeln des Telefons reißt ihn aus seinen Gedanken. Die Nummer des Anrufers ist unterdrückt. Das wird doch wohl nicht der Politiker sein, der die so bereitwillig getroffene Verabredung nun doch wieder absagen muss? Kurz erwägt Fred, den Anruf gar nicht erst anzunehmen, doch letztendlich würde das nichts an den Tatsachen ändern.
Als der Journalist Sekunden später die Stimme am anderen Ende der Leitung erkennt, glaubt er seinen Ohren nicht zu trauen.
»Hallo, Herr Hübner, hier ist Pabst, Ihr Analytiker. Leider muss ich unseren Termin für heute Abend nun doch absagen. Es gibt da ein paar private Dinge, die ich regeln muss.«
»Ja klar, verstehe ich«, antwortet Fred und denkt fast amüsiert: private Dinge , so kann man das natürlich auch nennen.
»Danke für Ihr Entgegenkommen. Wir telefonieren nächste Woche noch mal, wäre das für Sie in Ordnung?«
Normalerweise natürlich nicht, du Idiot, denkt Fred, aber da du ja gewissermaßen unter Mordverdacht stehst, will ich mal nicht so sein. Mit verbindlicher Stimme säuselt er ins Telefon: »Selbstverständlich. Sie melden sich dann?«
»Das tue ich. Alles Gute für Sie bis dahin.«
Er hat es durchgehalten, denkt Fred. Fast ist ihm zwar die Stimme weggebrochen, aber er hat es geschafft. Und man muss sich ja wohl vorstellen, dass der arme Kerl jetzt sicher
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