Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
geschundenes Tier schleicht Hubert Mönchinger durch sein Haus. Überall sind Fallen aufgestellt, jeder Raum ist kontaminiertes Gelände, aus allen Ecken springen ihn die Erinnerungen an.
Marga, wie sie in der Küche sitzt und die Teetasse zwischen den Händen dreht. Marga lachend vor dem Fernseher im Wohnzimmer, wenn ihre Lieblingssoap im Vorabendprogramm läuft. Marga in der Badewanne zwischen Schaumbergen verborgen, nur die hochgesteckten roten Haare leuchten hervor. Und am schlimmsten von allen Bildern: Marga lasziv auf dem großen Ehebett ausgestreckt, bekleidet nur mit einer ihrer exquisiten Garnituren, drapiert wie für ein Foto in einem Hochglanzmagazin. Marga die Schöne, Marga die Unberührbare, die ihm mit strenger Stimme verbietet, sich ihr zu nähern und damit seine Begierde bis ins Unfassbare anstachelt, so lange, bis er sich nicht mehr halten kann, bis er über sie herfällt und sie sich nimmt, weil sie ihm gehört, nur ihm allein, weil er ihr Besitzer ist, trotz allem der Herr über ihren Körper und ihre Seele – und zwar der alleinige Herr.
Hubert weiß, dass das nicht stimmt. Zumindest nicht, was Margas Seele angeht. Hubert weiß auch, er hat es immer gewusst, dass Margas Körper ein Vorleben gehabt haben muss. Wann sonst sollte sie diese ganzen Tricks und Kniffe gelernt haben, mit denen sie ihn regelmäßig zum Wahnsinn treibt? Und Hubert weiß natürlich durch seine vielen Gespräche mit dem Analytiker Manfred Pabst auch ganz genau, dass es so nicht ewig weitergegangen wäre. In irgendeiner Weise hätte er die Beziehung zu seiner Ehefrau auch als solche gestalten müssen. Vielleicht hätte Marga sogar mitgemacht, vielleicht hätte sie sogar gern mitgemacht. Hubert wird es nicht mehr erfahren, denn er hat es ihr nie vorgeschlagen. Zu groß war seine Angst, dass der Zauber dann verloren ginge, dass seine Gier verschwinden und die bedrohliche Mischung aus Anziehung und Abweisung, die das Geheimnis ihres Sexlebens war, verpuffen würde wie ein allzu instabiles Gas bei einer chemischen Reaktion.
Auch das sorgsame Verbergen ihrer heimlichen Spiele vor der ewig prüden Christa hat viel zum prickelnden Vergnügen Huberts beigetragen. Allein die Vorstellung, dass Christa mit Flanellnachthemd und Bettjäckchen nur zwei Zimmer weiter in ihrem keuschen Bett lag und keine Ahnung davon hatte, was er und Marga miteinander trieben, konnte ihn fast zum Höhepunkt bringen. Endlich hatte er die immer herrische Schwester besiegt, hatte sie vernichtend geschlagen auf einem Feld, auf dem sie nicht die geringste Erfahrung hatte. Die sonst so besserwisserische Christa war nie von einem Mann begehrt worden und hatte früh begonnen, daraus einen moralischen Vorteil zu ziehen. Sie war stets sauber und rein, er dagegen war schmutzig, triebgelenkt und schwach. Völlig undenkbar, dass Christa ihn jemals allein gelassen hätte. Schon vor vielen Jahren hat sie sich in sein Leben gehakt wie eine Klette, die sich nur noch tiefer einkrallt, je energischer man sie loswerden will. Nach dem Tod der Mutter ist Christa selbstverständlich in diesem Haus wohnen geblieben, schließlich gehörte es ihr ja zur Hälfte. Und wenn Hubert jemals geglaubt hat, dass die Schwester nach seiner Heirat klein beigeben und sich eine andere Bleibe suchen würde, dann hat er sich gründlich getäuscht.
Nein, Christa Mönchinger nahm ohne zu zögern den Kampf gegen die verhasste Schwägerin auf. Lange stand es unentschieden, manchmal wirkte Christa sogar wie eine sehr unglückliche Verliererin, aber ihre Zähigkeit trug letztendlich den Sieg davon. Ihre Zähigkeit und ihre Verschlagenheit. Denn Christa kämpfte mit unfairen Methoden. Der Privatdetektiv, den sie heimlich auf Margas Vorleben angesetzt hat, ist in Hubert Mönchingers Kalkül natürlich nicht vorgesehen gewesen. Dieser widerwärtige Spion hat Christa mit einer Macht ausgestattet, die sie sofort einzusetzen wusste. Gegen Marga und damit auch gegen Hubert selbst. Auch wenn sie natürlich behauptete, dies alles sei nur zu seinem Besten geschehen. Marga habe ihn betrogen, indem sie ihm ihre Vergangenheit vorenthalten habe, sie habe ihm ein ehrbares Leben vorgespielt, obwohl ihr Leben alles andere als ehrbar gewesen sei.
Hubert kann zu diesen Vorhaltungen, die Christa ihm seit Margas Verschwinden täglich, ja fast stündlich gemacht hat, nur schweigen. Alles andere wäre Verrat an Margas und seinem obszönen Geheimnis gewesen.
Und jetzt ist Marga tot. Hat Christa sie umgebracht? Hubert
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