Männer schweigen: Ein Sylt-Krimi
sein muss. Vielleicht zwei Jahre später, überlegt er und hofft wenige Sekunden lang sogar, seine große Liebe Susanne Boysen könne auf der anderen Seite des Bettes liegen. Aber da ist niemand – und auch das Bett ist nicht mehr der Futon vom letzten Jahr. Natürlich nicht.
Plötzlich sieht Fred das ganze Blut wieder vor sich, die Flecken und Spritzer an Wänden und Decke dieses Raumes, und der komplette Horror des vergangenen Sommers ist zurück. Stöhnend vergräbt der Journalist das Gesicht in den Kissen. Zu dem entsetzlichen Kater sind nun noch die grausamen Erinnerungen an den Mord gekommen, der ausgerechnet hier in seinem Schlafzimmer verübt worden ist. Aber war er da nicht schon längst trocken? Und hat nicht ausgerechnet der einzige Rückfall, der ihm im letzten Jahr unterlaufen ist, fast zu einer weiteren tödlichen Katastrophe geführt? Das Bild des schussbereit auf ihn gerichteten Revolvers gehört nicht unbedingt zu seinen favorisierten Erinnerungen. Es waren nur einige Gläser Cognac, die ihn damals jede Vorsicht verlieren ließen und ihn fast das Leben gekostet hätten.
Cognac.
Das Wort stellt sich plötzlich quer in Fred Hübners Hirn. Eine fast übermächtige Sehnsucht nach nur einem winzigen Schluck überfällt ihn. Cognac, genau das war es, was er gestern Abend vollkommen hemmungslos in sich hineingeschüttet hat. Aber warum? Und mit wem?
Wieder schrillt das Telefon. Der Ton ist eine Beleidigung für Fred Hübners Ohren und eine Marter für sein geschundenes Hirn. Fred nimmt das Gespräch nur aus einem einzigen Grund an: um die Folter möglichst schnell zu beenden.
Die Stimme aus dem Hörer gehört einem Mann. Sie ist leise und dezent, so leise, dass Fred den Namen nicht verstehen kann, doch nach den ersten Sätzen wird ihm klar, wer ihn da anruft. Langsam kehrt die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück. Das Essen mit Jens-Uwe Behrmann. Den unmäßigen Alkoholkonsum des Politikers. Und schließlich seine, Fred Hübners ureigene Entscheidung, den Abend an seine Grenzen zu führen, indem er sich diesem Behrmann als Saufkumpan anbot. Entgegen jeder Vernunft, entgegen jeden besseren Wissens.
Dann kam der Cognac ins Spiel. Ein, zwei, drei, viele Gläser. Jedes schmeckte köstlicher als sein Vorgänger. Und wurde schneller hinter die Binde gekippt. Dunkel erinnert Fred sich plötzlich auch an eine Bahnhofskneipe und einen Strandkorb im Morgenlicht. Und während der Typ am Telefon belangloses Zeug von neuer Freundschaft und peinlichem Absturz und großem Bedauern labert, fällt Fred Hübner schlagartig der ganze Rest wieder ein.
Sein Aufenthalt in der Ausnüchterungszelle der Westerländer Polizei, das Gespräch mit dem schmächtigen Kommissar, dessen Namen er sich einfach nicht merken kann und der ihm von einem zweiten Leichenfund am Strand erzählt hat. Und leider weiß Fred Hübner plötzlich auch nur zu genau, was danach geschehen ist. Der Spacki hat ihn in ein Taxi gesetzt und dem Fahrer die Adresse seiner Wohnung am Dorfteich genannt. Allerdings hat Fred ziemlich schnell darum gebeten, auf dem Weg kurz beim Supermarkt an der großen Kreuzung zu halten. Mit zwei Flaschen Hennessy unter dem Arm ist er wenig später in seinem Apartment angekommen. Und während Fred Hübner nun endlich mit belegter Stimme die ersten Worte in dem bisher sehr einseitig verlaufenden Telefonat formt und anstelle eines höflich wohlgesetzten Kann ich Sie zurückrufen? nur ein lallendes »Kaichsiesurkhufn« seinen Mund verlässt, tastet er nach den Cognacflaschen. Eine steht neben seinem Bett und scheint tatsächlich unangebrochen zu sein, die zweite rollt schon bei der ersten Berührung ans andere Ende des Zimmers. Sie klingt nicht gerade so, als befinde sich noch besonders viel Alkohol in ihrem Inneren.
»Fred, Menschenskind, dich hat’s aber übel erwischt, oder?«, erkundigt sich gerade die besorgte Stimme des Alkoholliebhabers und Umweltaktivisten Jens-Uwe Behrmann am anderen Ende der Leitung.
»Kannsu wohl sagn«, presst Fred mühsam heraus.
»Kann ich dir irgendwie helfen? Es ist ja schließlich auch meine Schuld, dass es dir jetzt schlecht geht.«
»Lassma, ehtschon. Könnwi mogn nochma sprechn?«
»Ja klar, kein Problem. Und falls du dich nicht mehr an unseren Zug um die Häuser erinnern kannst, ruf mich an. Jederzeit, hörst du? Meine Handynummer hast du ja. Ich helfe deinem Gedächtnis dann schon auf die Sprünge.«
»Danke, machich. Isaber immoment nich so mein Problem.«
»Ich wollt’s
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