Männer sind Helden
uns, damit wir alle nicht zuhören konnten. Trotzdem hörte ich noch wie er: „Du musst das Essen noch eine Zeitlang warm stellen“ in die Muschel seines superkleinen Handys nuschelte.
Rudi und ich schauten uns an, und lachten beide gleichzeitig los. Als wir uns gerade wieder eingekriegt hatten, kam eine der blonden Damen, mit denen der sympathische Jüngling gekommen war, an uns vorbei. Bisher hatte ich die Frau nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen, aber nun konnte ich sie genauer betrachten, da sie sich wegen der vielen Leute ganz nah an uns vorbeischlängeln musste. Sie mochte so um die fünfundvierzig Jahre alt sein, denn ihr sonnengegerbtes Gesicht hatte schon viele Falten. Ihre blonden Haare waren nicht echt, denn der Haaransatz wuchs dunkel nach. Sie hatte bestimmt einmal ganz gut ausgesehen, aber die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Da ihre natürliche Schönheit verwelkt war, hatte sie besonders tief in den Farbtopf gegriffen. Obwohl es Sommer war, lag eine zentimeterdicke Make-up-Schicht auf ihrem Gesicht, und darüber hatte sie noch dunkelbraunes Glitzerpulver gestreut. Ihre Augen waren mit Kajalstift umrandet, der Lidschatten war bis zu den Augenbrauen hoch verteilt. Aber die absolute Krönung war ihr Mund: Sie hatte die Konturen so stark nachgezogen, dass man die Linie genau erkennen konnte, und dann hatte sie die Lippen mit einem orangefarbenen Lippenstift beschmiert, der in seltsamem Kontrast zu ihren gelblichen Zähnen stand. Sie ging jetzt ganz nah an uns vorbei, hocherhobenen Hauptes, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Auch Rudi starrte sie an und sagte: „Wer kein Gesicht hat, malt sich eins!“ Dann prusteten wir wieder los und krümmten uns vor Lachen.
Es war bereits ein Uhr morgens, als wir aufbrachen. Draußen vor der Tür blieben wir einen Moment stehen, holten tief Luft und reckten unsere Hälse in den Himmel.
„Was für eine wunderbare Nacht“, sagte Rudi. Draußen war es ganz mild, so wie sonst nur in Küstenstädten im Süden Frankreichs oder Spaniens. Es war fast windstill, und über der Stadt wölbte sich ein tintenfarbener Himmel, der über und über mit kleinen, glitzernden Sternen übersät war.
„Ja, das ist wirklich schön“, sagte ich, und eine Weile standen wir andächtig nebeneinander, ohne ein Wort zu sagen.
„Was wolltest du mich eigentlich vorhin fragen, Rudi?“
Er drehte sich zu mir um und sah mir fest in die Augen. „Ich wollte dich fragen, ob du mein Trauzeuge sein willst. Ich würde mich sehr darüber freuen, schließlich bist du einer meiner ältesten Freunde.“
„Ja, gerne!“
„Gut, dann ist das erledigt.“
17. Kapitel
„Au, verdammt!“, schrie Rudi. Er saß auf einer Leiter in meinem Arbeitszimmer und versuchte, mit einem Spachtel die Tapete von der Decke zu lösen. Dabei war er mit der rechten Hand ausgerutscht und hatte sich den Spachtel in die Hand gejagt. „Mensch, das blutet, hat hier jemand ein Pflaster?“, rief er. Susi kam aus dem Flur gerannt, blieb vor der Leiter stehen und blickte zu ihrem Bräutigam hoch, der ihr seine verletzte Hand entgegenhielt. „Das sieht ja schlimm aus!“, sagte sie und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf, der mit einem roten, seidigen Tuch umwickelt war, gelöst hatte. Ihr hübsches Gesicht war über und über mit kleinen, weißen Punkten besprenkelt, da sie zusammen mit Irene und Isabel das ehemalige Gästezimmer strich.
„Hast du irgendwo ein Pflaster und etwas Jod?“, fragte mich Susi.
„Ja, einen Moment“, erwiderte ich, legte meine Spachtel zur Seite und ging ins Badezimmer, um das Verbandszeug zu holen.
Als ich zurückkam, war Rudi bereits von der Leiter gestiegen und hockte vor Susi auf dem Fußboden, die sich seine blutende Hand genauer betrachtete. Sie nahm ein Fläschchen Jod aus dem kleinen Verbandskasten, den ich ihr gebracht hatte, und tröpfelte etwas von der dunklen Flüssigkeit auf die Wunde. Rudi atmete nur zischend durch seine zusammen gepressten Lippen, ließ sich aber ansonsten den Schmerz nicht anmerken. Nachdem Susi ein Pflaster über die Wunde geklebt hatte, stieg Rudi wieder die Leiter hoch, um seine Arbeit fortzusetzen. Mike und ich kratzten die Tapete von den zwei gegenüberliegenden langen Seiten ab. Aus dem Zimmer nebenan, wo die Mädchen arbeiteten, drang fröhliches Geschnatter zu uns herüber, während wir Männer schweigend arbeiteten und ab und zu einen Schluck aus der Bierflasche nahmen. Isabel hatte sich
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