Männer sind Helden
gerichtet.
Ein junger, hagerer Mann mit Schnauzbart blickte auf die Uhr: „Nur noch zehn Sekunden bis Mitternacht. Neun, acht, sieben ...“ Die anderen Gäste und auch Isabel und ich stimmten mit ein: „drei, zwei, eins ... Prosit Neujahr!“
Ich drehte mich zu Isabel, und wir sagten im selben Moment: „Ich liebe dich!“ Dann explodierte die erste Leuchtrakete und zerfiel in grüne, gelbe, rote und blaue Lichtkugeln. Nichts ist so kitschig wie das wirkliche Leben, dachte ich.
Um ein Uhr machten sich die älteren Herrschaften und Eltern, bei denen der Babysitter wartete, auf den Weg nach Hause. Die Band begann jetzt, fetzigere Musik zu spielen. Isabel tanzte mit Horst Reimann, einem meiner Kollegen, der vor ein paar Wochen von seiner Ehefrau verlassen worden war. Ich ging zur Bar im Nebenraum, um mir Champagner zu holen. Kein Kellner war zu sehen, deshalb bediente ich mich selbst. In den Sektkübeln schwappte das Wasser, die Eiswürfel waren fast alle geschmolzen. Ich schenkte mir einen Kelch voll und wollte gerade wieder gehen, als eine schlanke Blondine das Zimmer betrat. Sie kam geradewegs auf mich zugesteuert, die Zigarettenspitze hing ihr lässig im Mundwinkel. Sie war eine Frau, wie sie Männer gerne als blondes Gift bezeichnen. Ehe ich mich es versah, hatte sie ihren Stachel nach mir ausgestreckt. Sie hielt mir ihr leeres Glas entgegen und fragte: „Bewachst du die Sektbar, oder warum hast du sich hier in der hintersten Ecke verschanzt?“ Sie lächelte anzüglich und ließ ihren Blick ungeniert von oben nach unten wandern. Ich füllte ihr Glas nach und schaute in ihre blaugrauen Augen. Sie hielt meinem Blick solange stand, bis ich aufgab. „Du gehörst wohl auch nicht zu der Art von Frauen, die artig warten, bis ein Mann sie zum Tanzen auffordert?“
Sie lachte und warf ihren Kopf in den Nacken: „Nein, wenn ich darauf je in meinem Leben gewartet hätte, wäre ich schon in der ersten Tanzstunde sitzen geblieben.“
Ich guckte ungläubig, deshalb klärte sie mich auf: „Früher war ich ein hässliches Entlein mit einer scheußlichen Zahnspange. Es hat mich viel Arbeit und noch mehr Geld gekostet, bis ich so aussah wie jetzt.“
„Willst du damit sagen, dass du beim Schönheitschirurgen warst, um dir die Nase richten oder den Busen liften zu lassen?“
Sie kam näher auf mich zu, bis sie nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt war. Instinktiv schaute ich auf ihre prallen Brüste, die das enge, schwarze Ballkleid fast zu sprengen schienen. Ein Hauch von Moschus drang in meine Nase. „Überzeuge dich doch selbst!“
Das Blut stieg mir in den Kopf. „Ich bin mit meiner Freundin hier“, sagte ich matt.
Sie strich mir mit ihrem Zeigefinger über die Lippen: „Na und?“
„Vor einer Stunde habe ich ihr noch meine Liebe gestanden.“
Sie klopfte auf ihre schwarze Umhängetasche und zwinkerte mir zu: „Wir können selbstverständlich ein Kondom benutzen. Außerdem will ich dich ja nicht heiraten.“ Sie nahm meine Hand: „Komm, lass uns gehen.“ Sie drehte sich um und präsentierte mir ihr kleines Hinterteil. Ich folgte ihr widerstrebend in den dritten Stock, wo wir vor einer großen Holztür stehen blieben. Sie öffnete die Tür und führte mich im Dunklen zu einem Sofa, das schräg vor einem hohen Fenster stand. Ich umfasste ihre Hüfte, drückte sie in die Kissen und küsste sie auf ihren zarten Hals. Als ich langsam ihren Rocksaum heben wollte, ging das Licht an.
Der Schreck durchfuhr meine Glieder: „Isabel!“
„Danke Janine, das reicht! Ich habe gesehen, was ich sehen wollte!“
Ich war verwirrt: Was wurde hier gespielt? Meine Verführerin, deren Name ich soeben erfahren hatte, stand auf und strich sich ihr Kleid glatt. Sie ging auf Isabel zu und küsste sie auf die Wange: „Habe ich doch gerne getan, Liebes. Wenn du mich wieder einmal brauchst ...“ Sie legte ihren Arm um Isabels Schulter, und dann verließen beide tuschelnd den Raum.
Ich fühlte mich verraten und verkauft. Sollte das eine Falle gewesen sein? Hatte mich Isabel auf die Probe stellen wollen? Als ich mich wieder gefangen hatte, rannte ich den beiden hinterher. Isabel war nirgends zu sehen, aber dafür fand ich Janine, die an der Sektbar mit einem attraktiven Mann flirtete. War das ihr nächstes Opfer?, schoss es mir durch den Kopf. Ich musste meinen Geschlechtsgenossen warnen: „Lassen Sie lieber die Finger von dieser Dame, wenn Sie sich keine Schwierigkeiten aufhalsen wollen“, sagte ich zu dem Typen und
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