Männer sind Helden
Gegensatz zu Tom war sie konventionell gekleidet. Sie trug ein sandfarbenes Kostüm und eine weiße, gestärkte Bluse. Der Beruf Informatikerin passte überhaupt nicht zu ihr. Sie hätte PR-Referentin oder Grafikerin sein können.
„Komm, Marie, setz dich hierher!“ Isabels Mutter hatte noch ein Gedeck aus der Küche geholt und neben sich auf den Tisch gestellt. Während unserer Unterhaltung verstärkte sich der erste Eindruck, den ich von Marie gewonnen hatte. Sie war nicht der Typ, der sich lautstark in Szene setzt und es genießt, im Mittelpunkt zu sein. Sie fragte mich nach meiner Arbeit in der Kanzlei. Als ich ihr einige Fälle aus meiner Praxis schilderte, hörte sie aufmerksam zu und stellte intelligente Fragen.
Ich befragte sie nach ihrem Job, aber sie winkte bescheiden ab. „Ach, ich programmiere Software, das ist alles.“
Später im Auto, auf dem Weg zu meinen Eltern, erfuhr ich von Isabel, dass Marie eine echte Kapazität auf ihrem Gebiet war. Sie betreute Automobilunternehmen und viele Großkonzerne.
„Warum ist sie nur derart bescheiden?“, fragte ich Isabel.
„Ich glaube, Menschen, die wirklich gut in ihrem Job sind, haben es nicht nötig anzugeben. Außerdem neigen doch die meisten Frauen dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Im Gegensatz zu euch Männern.“
„Wie meinst du das denn schon wieder?“
„Selbst wenn Frauen intelligenter sind als ihre männlichen Kollegen, ziehen sie es vor, in der zweiten Reihe zu stehen. Es gab mehrere Untersuchungen in den USA, die das bestätigt haben. Bei Männern steht der Intelligenzquotient in enger Beziehung zu ihren Leistungen. Das heißt: Je klüger ein Mann ist, desto erfolgreicher ist er. Bei Frauen ist es genau umgekehrt. Je klüger eine Frau ist, desto anspruchsloser ist der Job, den sie ausübt.“
„Das hört sich für mich vollkommen unglaubwürdig an.“
„Es ist aber wahr. Wenn du willst, suche ich dir die Untersuchungen einmal heraus. Ich habe sie von einer Soziologiestudentin geschenkt bekommen. Damals wählten die Forscher mehr als sechshundert Kinder mit einem IQ von über 135 aus kalifornischen Schulen aus und verfolgten ihr Leben, bis sie Erwachsene waren. Die Männer hatten fast alle Karriere gemacht, während die Frauen unterbezahlt vor sich hin jobbten.“ Isabel zündete sich eine Zigarette an. „Aber jetzt kommt es: Zwei Drittel der Frauen mit einem Geniewert von 170 oder mehr waren Hausfrauen oder arbeiteten als Sekretärin im Büro.“
„Und warum ist das so?“
„Weil Frauen Angst davor haben, unabhängig zu sein. Für sie ist der Sinn des Lebens darin begründet, sich an einen Mann zu binden. Wenn eine Frau erfolgreich ist, empfindet sie das nur als Übergangsphase. Im Stillen hofft sie auf den one and only , der sie befreit.“
Das war auch meine Meinung. „Sind denn alle Frauen so veranlagt?“
„Ich denke schon. Aber es gibt natürlich auch Frauen, die sich gegen eine solche Veranlagung wehren.“
Ich musste an den Reiki-Kurs denken, an dem Isabel, Irene und Susi jeden Donnerstag teilnahmen. Vielleicht versuchten die Mädchen dort, ihre genetischen Fesseln loszuwerden. Unter Umständen war Susi, die jahrelang unerkannt als MTA gearbeitet hatte, in Wirklichkeit ein weiblicher Albert Einstein?
28. Kapitel
Zwischen den Jahren war in der Kanzlei nicht viel los. Frau Freudenthal kam jeden Tag zwei Stunden später, weil sie wegen ihrer Schwangerschaft an morgendlichem Erbrechen litt. Frau Rohrbein hatte die angehende Mutter samt ungeborenen Fötus bereits adoptiert. Sie strickte nebenbei ein Babyensemble mir rosablauen Streifen, weil sie ja noch nicht wusste, „ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.“
Neben dem Stapel mit den neuesten NJWs, der Neuen Juristischen Wochenschrift, hatte sie zudem einen Haufen mit Kinder- und Elternliteratur angehäuft: „Ich und mein Kind“, „Gesünder Leben in der Schwangerschaft“, „Ökologisch wohnen mit Kindern“, so lauteten die Titel. Frau Freudenthal durfte keinen Schritt zuviel machen, sondern nur an ihrem Schreibtisch arbeiten. Einmal beobachtete ich, wie Frau Freudenthal mit einem Blatt Papier zum Kopierer ging. Sofort war Ersatzglucke Rohrbein zur Stelle: „Lassen Sie mich das machen. Sie müssen sich doch schonen.“
Am Kopierer sprach ich Frau Rohrbein daraufhin an: „Schwangerschaft ist doch keine Krankheit. Finden Sie nicht, dass Sie ein wenig übertreiben?“
Sie guckte mich mitleidig an und zuckte die Achseln: „Herr Doktor,
Weitere Kostenlose Bücher