Maenner und andere Katastrophen - Roman
einem Töpfchen kaum größer als ein Fingerhut, und ehe mal sich's versieht, sind sie zu großen Büschen herangewuchert. Ich konnte diese heimtückischen Zimmergenossen nicht ausstehen und versuchte stets alles, um sie rasch eines natürlichen Todes sterben zu lassen. Aber was ich auch tat, sie wucherten im dunkelsten Regalwinkel, überlebten monatelange Dürreperioden und überwinterten problemlos auf dem Balkon. Von wegen, Pflanzen brauchen vor allem Liebe, um zu gedeihen!
Bei dem Anblick des vergessenen Exemplares auf Frau Kiebigs Fensterbank - sicher hatte sie es absichtlich vergessen -, fielen mir plötzlich siedend heiß Billes Pflanzen ein, die zu pflegen ich ja versprochen hatte! Die Gute war jetzt schon fast eine Woche weg, und ich war noch nicht einmal in ihrer Wohnung gewesen, um nach dem Rechten zu sehen.
Ich beschloss, mein schlechtes Gewissen auf der Stelle zu beruhigen und bei der Gelegenheit Burghart, dem blauäugigen Grübchenwunder, wie zufällig einen Besuch abzustatten. Ich hatte es plötzlich sehr eilig.
»Du kannst dich der armen Pflanze annehmen«, sagte ich zum Onkel, und Rebecca rief ich zu, sie müsse die Anzeige ohne mich aufgeben.
Der Onkel hatte ein mitleidiges Herz. Schadenfroh registrierte ich, wie er die Schmarotzerpflanze in seine Wohnung trug, nicht wissend, dass er sich für den Rest seines Lebens mit ihr herumärgern musste.
Ich rannte die Treppe hoch vor meinen Kleiderschrank und schmiss mich weit mehr in Schale, als es zum Blumengießen notwendig gewesen wäre. Ich zog ein enges, schwarzes T-Shirt an, dessen Halsausschnitt so tief war, dass Mo immer sagte, ich trüge es verkehrt herum. Das T-Shirt stopfte ich in meine Lieblingsjeans, die dank der Obst-, Reis- und Sauerkrautwoche wieder tadellos saß, und tuschte mir sorgfältig meine Wimpern. In sieben Schichten. So weit, so gut.
Bei Bille war wider Erwarten alles in Ordnung. Den Pflanzen hatte die Trockenperiode eher gutgetan, sie gediehen auf das Prächtigste. Ich tränkte sie üppig, tupfte etwas von Billes bestem Parfüm auf meine Ohrläppchen und ging mit einem lahmen Vorwand auf den Lippen eine Etage tiefer.
»Oh, Judith, das ist aber nett«, sagte Burghart, als er mir die Tür öffnete.
Er lächelte so erfreut, dass ich die zurechtgelegte Ausrede gar nicht erst vorbrachte, sondern nur zurücklächelte.
»Komm doch rein.«
Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen.
»Ich wollte gerade etwas kochen«, sagte Burghart. »Wenn du Lust hast mitzuessen, mach ich einfach etwas mehr.«
»Gern«, sagte ich und sah mich interessiert in seiner Wohnung um.
Damals auf der Fete war es zu dunkel gewesen, um Einzelheiten zu erkennen. Ich bin der Meinung, dass eine Wohnung viel über den Menschen, der darin lebt, verraten kann. Diese hier bildete keine Ausnahme.
Leider.
Als Erstes fielen mir die vielen eigenartigen Tonklumpen auf, die in den Regalen aufgereiht waren. Bei näherem Hinsehen glaubte ich, drei unförmige Igel, eine Ansammlung verschiedener Gemüse und eine Art Würfel mit Löchern zu erkennen. Ein Käse vielleicht?!
Möglicherweise hatte Burghart ja kleine Kinder in der Verwandtschaft, die ihm die Machwerke verehrten. Irgendwie rührend, dass er sie nicht versteckte. Die Raufasertapete ringsrum war beinahe lückenlos mit Urkunden und Fotografien behängt. Ich betrachtete sie mit wachsendem Staunen.
Zweiter Platz beim B-Jugend-Turnier der Tischtennisfreunde Grün-Gold, elfter Platz beim Herbstlauf der Krankenversicherung mit den vier grünen Buchstaben, siebenhundertzwanzig Punkte bei den Bundesjugendspielen Sommer 1980, dritter Platz beim Abschlussballturnier des Tanzkurses für Fortgeschrittene ...
Ich schluckte trocken. Zu den Urkunden gehörte ein ganzer Pulk glänzender Pokale und Medaillen, die zwischen den Tonklumpen in den Regalen standen. Erfolgreiche Teilnahme am achten Wandertag der Naturfreunde Sauerland e. V., Gewinner des Tennis-Schleifchenturniers der B-Klasse beim TV Vorteil-Auf, Bronzeabzeichen des Deutschen Skischulverbandes ...
Ein leises Grauen nahm von mir Besitz.
Sinkenden Mutes sah ich mir die Fotografien an, mit denen die Wände zwischen den Urkunden tapeziert waren: Burghart auf dem Surfbrett, im Trapez hängend, auf dem Mountainbike, mit dem Tischtennisschläger, beim Korbleger, auf dem Dreimeterbrett, im Sessellift, beim Aufschlag, mit Flossen und Taucherbrille, im Handstand und mit dem Golfschläger.
Ich hatte plötzlich Lust, nach Hause zu gehen.
»Magst du Spaghetti
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