Maenner und andere Katastrophen - Roman
zwei warme Teebeutel für einen strahlend schönen, klaren Blick.
So zurechtgemacht legte ich mich aufs Bett und sagte mir ein über das andere Mal, dass ich mich selbst bedingungslos mochte.
Das Telefon klingelte und zwang mich, die Teebeutel von den Augen zu nehmen, um den Apparat zu orten.
Es war Kai-Uwe. Leider müsse er für heute Abend absagen, verkündete er mit Grabesstimme.
»Oh, warum?«, fragte ich enttäuscht.
Für wen nahm ich denn diese ganze Prozedur auf mich? Der Quark in meinem Gesicht war mittlerweile so hart geworden, dass mir das Sprechen schwerfiel.
»Ich muss bei meiner Mutter bleiben«, sagte Kai-Uwe.
»Ist sie krank?«, fragte ich teilnahmsvoll.
»Nein, aber sie ist völlig mit den Nerven fertig«, sagte Kai-Uwe.
Seine Mutter war rüstige fünfzig, und ich wagte nicht zu fragen, welches Ereignis sie so aus der Bahn geworfen hatte. Kai Uwe erklärte es mir liebenswürdigerweise von sich aus.
»Es ist wegen Amadeus«, sagte er. »Er ist gestern gestorben.«
Jemand war gestorben. Wie traurig.
»Das tut mir leid«, sagte ich ehrlich betroffen.
»Ja, das war für uns alle sehr schlimm. Aber meine Mutter ist besonders mitgenommen. Sie stand Amadeus immer am nächsten.«
»Deine arme Mutter«, flüsterte ich. »Da sollte sie heute wirklich nicht allein bleiben.«
»Sie muss immer daran denken, wie sie ihn gefunden hat«, sagte Kai-Uwe.
»Sie hat ihn gefunden? Tot?« Mir lief ein Schauder über den Rücken. Das war ja wirklich furchtbar. Die arme Frau.
»Ja«, sagte Kai-Uwe. »Er lag ganz steif in seinem Käfig. Es war ein furchtbarer Schock für meine Mutter.«
»Der Tote lag in einem Käfig?« wiederholte ich begriffsstutzig.
»In seinem Käfig, ja«, sagte Kai-Uwe. »Tagsüber konnte er frei im Wohnzimmer umherfliegen, aber abends haben wir ihn immer zum Schlafen in den Käfig gesperrt. Und da lag er dann - tot.«
Ich schnappte hörbar nach Luft, als mir endlich ein Licht aufging. Der verstorbene Amadeus war der Kanarienvogel, der die kleine Nachtmusik pfeifen konnte! Oder vielmehr hatte pfeifen können.
»Ich bin froh, dass du dafür Verständnis hast«, sagte Kai-Uwe. »Wir sehen uns dann vielleicht am Mittwoch.«
»Wenn es deiner Mutter bis dahin wieder besser geht«, verabschiedete ich ihn mit mühsam unterdrückter Wut in der Stimme. Unmengen von getrocknetem Magerquark rieselten auf den Boden, als ich den Hörer auflegte. Jetzt, da ich einmal mit dem Programm für atemberaubende Schönheit begonnen hatte, wollte ich es auch nicht verkommen lassen. Ich spülte Eigelb, Quark und Salz unter vorschriftmäßigen Wechselduschen ab.
»Ich mag mich selbst bedingungslos«, sagte ich zu meinem Spiegelbild, und wirklich: Ich war atemberaubend schön geworden! Es wäre eine Schande gewesen, bei so viel Schönheit nicht unter die Leute zu gehen.
Deshalb rief ich bei Oliver, dem Aufbauspieler aus Holgers Mannschaft, an. Er hatte zwar gesagt, dass er sich bei mir melden würde, aber darauf konnte ich jetzt nicht warten.
Glücklicherweise war Oliver zu Hause.
»Hallo, hier ist Judith.«
Ich hielt erwartungsvoll die Luft an. Das war der spannendste Moment. Wenn er jetzt sagte: »Welche Judith?«, war der Abend gelaufen.
Aber das tat er nicht.
»Hallo, Judith, na so was, zufälligerweise wollte ich gerade im Moment auch bei dir anrufen«, sagte er. »Um dich zu fragen, ob du heute Abend schon was vorhast.«
Ich atmete auf. So ein Zufall, wirklich. Wir verabredeten uns für acht Uhr vorm Kino.
Es lief die Verfilmung eines amerikanischen Romans, eines Politthrillers, den ich nicht gelesen hatte. Worum es genau ging, ist mir nicht mehr im Gedächtnis, aber es war in jedem Fall ungeheuer spannend. Eine hübsche, wahnsinnig kluge Jurastudentin hatte den Hintergrund und die Motive für einen Skandal um den Mord an einem oder mehreren Richtern vom obersten Gerichtshof aufgedeckt, in den das Weiße Haus und alle dem Weißen Haus zur Verfügung stehenden Geheim- und Mörderdienste sowie jede Menge korrupter Anwälte und bezahlte Killer verwickelt waren, die allesamt der hübschen, wahnsinnig klugen Jurastudentin ans Leben wollten. Weil die aber eben nicht nur hübsch, sondern auch klug war, und sich mit einem gutaussehenden Journalisten zusammentat, und weil sich die Mörder ständig gegenseitig in die Quere kamen, gelang es ihr am Ende doch, sich lebend auf eine Karibikinsel zurückzuziehen, und der Präsident und ein ganzer Haufen korrupter Anwälte mussten ihren Hut nehmen.
Ich fand
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