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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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drin?«, fragte ich Bille.
    »Das war sicher Frostschutzmittel, jedenfalls nichts für Klassefrauen wie mich«, meinte Bille. »Mach das Licht aus.«
    »Das geht nicht, das kommt von draußen«, musste ich feststellen und drängelte mich zu Bille unter meine Decke.
    »Das kann nicht sein«, widersprach Bille, »oder meinst du, es ist schon Samstag früh? Ich war jedenfalls nie im Leben müder.«
    Ich schaute nach meinem Wecker. Er zeigte 19.45 Uhr an.
    »Rate, wie spät es ist, du besoffenes Klasseweib«, sagte ich zu Bille.
    »Mitternacht, mindestens«, murmelte Bille, »gute Nacht, Sieben-Punkte-Frau. Und zieh mir nicht andauernd die Decke weg.«
    »Gleich morgen werde ich einen richtigen Klassefrauentest entwickeln«, kündigte ich an und drehte mich auf die Seite, »einen, der wirkliche Klasse erfasst.«
    Billes selbstgefälliges Kichern begleitete mich in den Schlaf. Der Wein hatte es wirklich in sich gehabt. Was genau, würden wir wohl nie erfahren.

Samstag
    Am Wochenende regnete es. Das war mir gerade recht, weil ich vorhatte, mich das ganze Wochenende der Kostümschneiderei zu widmen.
    Die Näherei stellte sich als der bisher aufwendigste Arbeitsschritt heraus. Allein für Hotzenplotzens Räuberzivil benötigte ich den ganzen Vormittag. Ursprünglich hatte ich Rebecca um Stoffreste bitten wollen, aber sie hatte augenblicklich ihre schwarze Phase, und mit ihren Stoffen hätte ich nur Witwen und Waisen einkleiden können. Deshalb war mir die Idee gekommen, die Stoffe aus den Koffern und Kisten mit alten Kleidern und Schuhen zu rekrutieren, die auf unserem Dachboden lagerten. Hier fand sich ein wahrer Kostümfundus, zumindest für meine Puppen, die ja doch erheblich kleiner waren, als die Menschen, die mal in den Klamotten gesteckt hatten. Die Masse der Lurexabendkleider, Kostüme, Unterröcke, Schlaghosen, Fellmäntel, Oberhemden, Krawatten und Herrenanzüge war geradezu überwältigend. Mein Hotzenplotz bekam ein Wams aus einem Tweedrock meiner Mutter, darunter eine geflickte Weste mit richtigen kleinen Knebelknöpfen und eine Hose aus echtem Beamtenstoff. Die Kleidungsstücke waren so genäht, dass man sie dem Räuber an- und ausziehen konnte, wie einer normalen Puppe. Es war gar nicht einfach, den knochigen, in der Körpermitte nur aus einem Seil bestehenden Marionettenrohling so zu polstern, dass er wie ein stämmiger Räuber aussah, aber auch das gelang mir nach einiger Tüftelei mit Schafwolle und ausgedienten Schulterpolstern aus Schaumgummi.
    Gegen Mittag machte ich mich auf dem Speicher auf die Suche nach einem geeigneten Stoff für einen Räuberhut. Ich fand dabei neben Rebeccas altem Kindergartentäschchen, dessen roter Filz sich wunderbar für einen Hut eignete, eine kackbraune Lacklederhose, in der sich irgendjemand aus unserer Familie mal furchtbar blamiert haben musste. Daraus bastelte ich mit einiger Mühe Stulpenstiefel für Hotzenplotz. Die Haarfarbe war ebenfalls ein Problem, das zu lösen mich einiges an Nachdenken kostete. Schließlich pappte ich dem guten Hotzenplotz Stücke des leicht verfilzten Inlays einer alten Trappermütze meines Vaters auf den Kopf und als struppigen Bart ans Kinn. Ich war von dem Ergebnis begeistert.
    Die Stunden vergingen auf diese Weise wie im Flug. Als ich schließlich zufällig auf die Uhr sah, war es vier Uhr nachmittags. Ich registrierte, dass ich völlig vergessen hatte, zu trinken und zu essen und aufs Klo zu gehen, und beschloss deswegen, mir eine Pause zu verordnen. Während ich eine Banane zu mir nahm, überlegte ich bereits, wie ich den Schweinehirten einkleiden sollte. Da klingelte es an der Tür.
    Leicht verärgert ging ich zur Sprechanlage.
    »Wer da?«
    »Ich bin es, Kai-Uwe. Stör ich?«
    Eigentlich ja.
    »Nein«, seufzte ich und drückte auf den Türöffner. Seit dem Essen mit Schwester und Schwager neulich verspürte ich nicht mehr die geringste Lust, meine Zeit mit Kai-Uwe zu verplempern, auch wenn er mit mir in einen Bungalow mit Kanarienvogel ziehen wollte. Ich beschloss, ihm eben dies vorsichtig beizubringen, wo er nun schon mal da war.
    Kai-Uwe trug sein Exhibitionistenmäntelchen und einen Regenschirm und sah sehr jung und verletzlich aus. Ich würde behutsam mit ihm sein müssen.
    Während er den Schirm sorgfältig zum Trocknen aufgespannt auf den Fußboden stellte, sagte er: »Ich hätte vorher anrufen sollen, entschuldige bitte.«
    »Das macht nichts. Ich freue mich, dass du gekommen bist«, log ich.
    Kai-Uwe hängte sein

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