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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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sicher verwahrt, ihn böse anstarrt.
    „Hier“, sage ich und reiche jeder von ihnen ein Eis. „Das wird zwar nichts lösen, ist aber die beste Alternative.“
    Meine Mutter sitzt auf dem Rand ihres ungemachten Bettes, Nonna hat sich einen Stuhl herangezogen. Es gibt keine weiteren freien Stellen, wo ich meinen Hintern hinpflanzen könnte, also lasse ich mich im Schneidersitz auf den Boden sinken und betrachte den Hahn. So sitzen wir eine Weile schweigend, lecken unser Eis und denken unsere Gedanken, bis Nedra sagt: „Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben eine solche Angst gehabt.“
    Wir schauen sie an. Und meine Mutter, die Politiker und Polizisten angebrüllt, die mehr als nur eine Nacht im Gefängnis verbracht hat, die sich niemals gefürchtet hat, sich mit anderen anzulegen, beginnt zu weinen.
    Heilige Scheiße.
    Sofort bin ich neben ihr auf dem Bett und drücke sie an mich. Meine Großmutter sitzt auf der anderen Seite und streichelt ihre Hand.
    „Es wird schon gut gehen“, sage ich, aber sie schüttelt den Kopf.
    „Ich bin verdammte fünfzig Jahre alt. Ich weiß, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass etwas schief geht.“
    Wow. „Du willst dieses Baby unbedingt, nicht wahr?“
    Sie nickt und wischt sich eine Träne weg. „Das ist verrückt, ich weiß, aber ich will es wirklich.“
    Ich streiche ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Na dann. Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass alles gut geht, weißt du?“
    „Ich weiß, aber …“ Sie starrt auf das sauber geleckte Häagen-Dasz-Hölzchen in ihrer Hand und seufzt laut. „Aber was, wenn nicht? Was, wenn …?“
    Meine Großmutter, die aussieht, als würde sie auch jeden Moment anfangen zu weinen, und ich tauschen einen Blick, und ich denke: Nein, Nick. Frauen machen nicht alles kompliziert. Das Leben ist einfach kompliziert.
    Am nächsten Tag hüpfe ich aus dem Bett – okay, ich schleppe mich eher – und habe große Pläne. Zuerst den, meine Großmutter in die Kirche zu begleiten, was ich seit Jahren nicht mehr getan habe.
    Als ich so etwa sechs war, lange bevor Nonna bei uns gewohnt hat, konnte sie einfach nicht mehr länger tolerieren, dass meine Eltern mich, was Religion anging, derart nachlässig erzogen. Also hat sie ihren damals dünnen, knochigen Hintern den ganzen Weg von Brooklyn hierher geschleppt, um meinen knochigen, kleinen Hintern in die Messe zu verfrachten. Meine Oma mütterlicherseits beschloss, sobald sie Wind davon bekam, dass es höchste Zeit sei, nun auch meine jüdischen Wurzeln zu pflegen. Und beiden war es egal, dass meine heidnischen Eltern sich weder für das eine noch das andere interessierten. Deswegen setzte ich am darauf folgenden Samstag erstmals einen Fuß in eine Synagoge.
    Da ich auf diese Weise wertvolle Zeit alleine mit meinen geliebten Großmüttern verbringen konnte, habe ich jahrelang schulterzuckend einfach mitgemacht. Bis die Pubertät Zweifel in mir wachsen ließ, die weltlichen Ursprungs waren, denn ich entdeckte, dass ich die Wochenenden lieber mit Freunden als mit Gott verbringen wollte. Zu dieser Zeit kam mir nie in den Sinn, dass das eine das andere ja nicht ausschließen musste.
    Wie auch immer, keine der Großmütter – oder Glaubensrichtungen – hat gewonnen. Oh, ich glaube an Gott, auch wenn ich der Meinung bin, dass er einen perversen Sinn für Humor hat. Ich habe nur nie irgendeiner Seite meine Treue geschworen. Ich habe keine Skrupel, einen Weihnachtsbaum aufzustellen und zugleich jedes Jahr an Shelbys aufwendigen Feiern anlässlich des Passahfestes teilzunehmen. Vor ein paar Jahren habe ich die Ostermesse besucht, um dann im Herbst Yom Kippur zu feiern. Ich finde das alles in Ordnung … aus einer vorsichtigen Distanz heraus. Ich habe noch nicht entschieden, was ich tun werde, wenn ich Kinder habe, aber ich vermute, mir fällt dann schon was ein. Schließlich ist aus mir auch was geworden, oder?
    Sie brauchen darauf nicht zu antworten.
    Jedenfalls fiel mir auf, dass Nonna schon eine Weile nicht mehr in der Kirche gewesen ist, eine Vermutung, die sich bestätigte, als ich sah, wie ihre Augen aufleuchteten. Mir tat das Herz weh – jeden Tag die Messe zu besuchen war so viele Jahre lang fester Bestandteil ihres Lebens gewesen. Nicht zu gehen muss sie fast um den Verstand gebracht haben. Ich weiß, dass meine Mutter sie hingebracht hätte, zumindest gelegentlich, wenn sie nur gefragt hätte. Aber das würde ja bedeuten, dass man einem anderen Umstände bereitete, und das ist nach

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