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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Templeton
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Nonnas Ansicht eine viel schlimmere Sünde, als nicht zur Messe zu gehen. Und einmal mehr wird mir klar, wie viel meine Großmutter aufgegeben hat, seit sie bei uns lebt. Und ich frage mich, warum sie nach dem Tod meines Vaters geblieben ist.
    Genau das frage ich sie, als ich ihr nach der Kirche in einer ungarischen Bäckerei Ecke Amsterdam und 111. Straße gegenübersitze. Sie sieht mich an, ganz offenbar überrascht von meiner Frage, stellt dann ihre Teetasse ab und faltet die Hände im Schoß. Sie trägt ihr neues Kleid, und ich habe ihr silbernes Haar mit dem Lockenstab frisiert. Es fällt in weichen Wellen um ihr Gesicht. Ich kann die hübsche und eigensinnige junge Frau, die sie einmal war, sehen.
    „Deine Mutter brauchte mich“, sagt sie achselzuckend. „Deshalb bin ich geblieben.“
    Jetzt bin ich dran, überrascht zu sein. „Nedra braucht niemanden.“
    „Sie ist eine gute Schauspielerin, ja?“
    „Aber du hast doch selbst gesagt, wie stark sie ist.“
    „Ah …“ Sie deutet mit einem gebogenen, knorrigen Finger auf mich. „Aber diese Stärke, die würde ihr fehlen, wenn nicht Menschen um sie sind.“
    Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme über meinem geblümten Sommerkleidchen. Da hast du’s, Ginger. Du hast doch schon immer gesagt, dass sie die Energie aus anderen Leuten aussaugt, während ich eher die Einsamkeit brauche.
    „Das erklärt noch lange nicht, warum du geblieben bist. Schließlich war sie damals so gut wie nie alleine. Und auch ich war noch da.“
    „Aber ich war diejenige, die immer da war. Mit dem Geist genauso wie körperlich. Wie dein Vater. Du warst auch da, ja, doch du wolltest es nicht wirklich, und deine Mama wusste das.“ Vorsichtig teilt sie mit der Gabel ein Stück von ihrem Napoleon ab, die geschlagene Sahne quillt auf beiden Seiten aus dem Blätterteig heraus. „Als du gegangen bist, hat sie dich mehr vermisst, als du dir vorstellen kannst.“ Sie schaut mich an. „Aber sie hat nie etwas gesagt, weil es schließlich das ist, was Kinder tun, das Nest verlassen und ihren eigenen Weg gehen. Also bin ich geblieben, ich gab ihr Kraft.“ Sie verzieht den Mund in ein breites Grinsen. „Sie kann Renata Petrocelli nicht total aussaugen, eh?“
    Ich lache und stoße nun meinerseits die Gabel in mein Gebäck, dann frage ich: „Aber bist du geblieben, weil du das Gefühl hattest, es wäre deine Pflicht, oder wolltest du es?“
    Sie betrachtet mich. „Ich verstehe nicht.“
    „Ich habe dich gestern auf der Party beobachtet, Nonna. Du warst so glücklich. Als ob … als ob du nach Hause gekommen wärst.“
    Ihre schwarzen Augen schimmern, sie senkt den Blick auf ihr Gebäck. „Es war schön, alle einmal wiederzusehen. Das ist alles.“
    Ich ergreife ihre zarte Hand. „Wenn du tun könntest, was du willst, würdest du dann wieder dort hinziehen?“
    Sie zieht ihre Hand weg. „Warum stellst du mir diese Fragen?“ fragt sie mit zittriger Stimme. „Hast du gehört, wie Sonya mich gefragt hat, ob ich bei ihr einziehen will? Geht es darum?“
    Sonya ist die jüngere Schwester meines Großvaters. Bevor Nonna aus Brooklyn weggezogen ist, standen sich die beiden sehr nahe, fast wie Schwestern.
    Hinter Nonnas Brillengläsern sehe ich Tränen funkeln. „Wie könnte ich das tun, jetzt, wo deine Mutter ein Kind bekommt?“
    „Nonna, um Himmels willen … du bist achtzig Jahre alt! Niemand, und am allerwenigsten Nedra, erwartet von dir, dass du noch ein Kind aufziehst! Hör mal, wenn du mit Sonya zusammenwohnen willst, dann musst du das tun, verstehst du?“
    „Und wer wird sich dann um deine Mutter kümmern?“
    Ich verschränke die Arme und presse die Lippen zusammen. „Die, die es schon die ganze Zeit hätte tun sollen. Nämlich ich.“
    „Aber du wirst eines Tages heiraten und wieder ausziehen …“
    „He, das ist nicht dein Problem, okay? Meine Mutter, meine Verantwortung.“
    Nonna schnäuzt sich in die Serviette und nickt. „Deine Mama, sie hat ganz schön Glück.“
    „Allerdings. Und nun lass uns was von dem Gebäck aussuchen und mit nach Hause nehmen, ja?“
    Unfähig zu entscheiden, was Nedra schmecken könnte, kaufen wir ein halbes Dutzend verschiedene Stückchen, damit sie sich etwas aussuchen kann. Ich schlage vor, ein Taxi zu nehmen, aber Nonna besteht darauf, dass wir laufen. Das tun wir also, Nonna völlig versteckt hinter ihrem beigefarbenen Regenschirm, den sie als Schutz gegen die Sonne trägt. Doch plötzlich hält sie ihn zur Seite und

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