Männer und der ganz normale Wahnsinn
schaue Nick an, sehe die Liebenswürdigkeit in seinem Gesicht, die genauso zu ihm gehört wie seine blauen Augen. Aber nicht die Liebenswürdigkeit trifft mich so sehr, sondern die Einfachheit und Überzeugung, mit denen er vorhin gesprochen hat. Was für ein Gefühl es wohl ist, zu wissen, wer man ist?
Und bin ich der einzige Mensch, der es nicht weiß?
Vielleicht sollte ich langsam mal darüber hinwegkommen. Ich meine, also ehrlich – herumsitzen und sich um seine Identität Gedanken machen? Wer zum Teufel macht so was schon? Abgesehen von unterernährten, neurotischen Schauspielern mit viel zu viel Freizeit?
Ich betrachte Frank und Paula, die sich mit Bröseln der Hot-Dog-Brötchen bewerfen, während ihre Kinder vor Vergnügen kreischen. Bei ihnen geht es ganz offensichtlich um Sex und Kinder und Essen und Spaß. Die elementaren Dinge. Was nicht schlecht ist, wenn man mal darüber nachdenkt.
Es ist schon fast dunkel. Ein leises „Bumm“ erklingt aus der Ferne.
„Hey, es geht los!“ schreit Paula, genauso aufgeregt wie die Kinder. „Oh, Mist, wir haben das Eis noch gar nicht gegessen!“ Sie huscht um den Tisch herum und holt verschiedene Eisbecher aus der Kühlbox. „Kommt her, kommt alle her, damit wir auf dem Dach sind, bevor die so richtig loslegen. Nick! Hast du die Stühle oben aufgestellt, so wie ich dich gebeten habe?“
„Heute Morgen“, antwortet er und dann zu mir: „Hast du noch Platz für Eis?“
„Immer.“
Er grinst, schwingt dann ein Bein über den Liegestuhl, steht auf und reicht mir eine Hand, um mir hoch zu helfen. Ich zögere, er ruft: „Himmelherrgott noch mal, du machst vielleicht ein Theater“, beugt sich herunter, greift meine Hand und zieht mich so schwungvoll auf die Beine, dass meine klitzekleinen Brüstchen gegen seine breite Brust knallen.
„Das war Absicht.“
„Du bist ganz schön misstrauisch, weißt du das?“ Aber sein Grinsen ist noch breiter geworden.
Und mir wird klar, dass ich Männer noch weniger verstehe als mich selbst. Was ja, wie wir gerade festgestellt haben, was zu sagen hat. Er jedenfalls schiebt mich jetzt sanft in Richtung Kühlbox, und seine Hand auf meinem Rücken sendet all diese bsst-bsst-bsst-Signale durch meinen ganzen Körper. Ich vermute, er denkt genau in diesem Moment an Sex. Ich meine, ich tue es, warum sollte er dann nicht, oder?
Oder vielleicht habe ich auch nur einfach Wahnvorstellungen …
Äh, hmmm … gerade ist etwas Eis auf meine Hand getropft, und er hat sie einfach abgeleckt.
Okay, also habe ich keine Wahnvorstellungen. Zu jeder anderen Zeit hätte ich das vielleicht auch als sehr schön empfunden, aber gerade jetzt …
Oh, Mann, diese Zunge …
„Mensch, Nicky“, ruft Paula. „Wir haben auch Servietten, für den Fall, dass du das nicht weißt.“
Er lässt meine Hand los und greift hinter sich nach einer Serviette, während dieses teuflische Glitzern nicht aus seinen Augen verschwindet. Die Kinder schreien und kreischen und hüpfen um uns herum, und meine Hormone schreien und kreischen und hüpfen in meinem Innern. Paula wirft uns einen anzüglichen Blick zu, und ich kann nicht mehr richtig atmen, weil ich mich in eine einzige riesige erogene Zone verwandelt habe. Dabei sollte ich irritiert sein, wenn nicht sogar bitterböse, aber ich kann meinen Blick nicht von seinen Lippen wenden.
„Um Gottes willen, hört auf, ihr zwei!“
Paula schon wieder.
„Soll ich den Wasserschlauch holen oder was?“
Nick grinst sein laszives Grinsen, und meine Knie werden weich. Dann nimmt er meine gerade abgeleckte Hand und führt mich ins Haus, wo ich hauche: „Du hast mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierher gelockt.“
Blaue, blaue Augen tauchen in meine. „Wenn ich mich recht erinnere, sagte ich, dass ich nichts tue, was du nicht willst. Und dabei bleibe ich auch.“
Dann kommen alle ins Haus geschossen und klettern aufs Dach. Ich kann nur noch denken: Ichhättenichtkommendürfenichhättenichtkommendürfenichhättenichtkommendürfen …
Unsere Schuhsohlen sinken in den von der Hitze aufgeweichten Dachbelag. Ich bin beruhigt, dass es hier eine hohe Mauer gibt und die Kinder nicht runterfallen können. Das Haus ist höher als die anderen in Greenpoint und gewährt einen ungestörten Blick über den East River und auf das Feuerwerk. Obwohl ich eine alte, erfahrene Frau bin, spüre ich eine Begeisterung in meinen Knochen, die mich kurzfristig vergessen lässt, dass ich ein zitterndes, verwirrtes und erbärmlich
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