Maenner weinen nicht
von Wertschätzung)
Schuldgefühle (Selbstverurteilung, Selbstanklage)
Bei Männern dauert es meist länger, bis sich aus dem Stressgeplagten ein depressiver Patient entwickelt. Manchmal können Jahre vergehen, mitunter sogar Jahrzehnte, die vielfach von körperlichen – genauer gesagt psychosomatischen – Beschwerden überschattet sind. Doch je mehr Zeit ins Land zieht und je länger die Männer davor zurückscheuen, sich behandeln zu lassen, desto langwieriger und schwieriger ist oft auch der Heilungsprozess. In akuten Situationen wie bei Christoph Haller müssen die Betroffenen mitunter stationär in eine Klinik aufgenommen werden oder für mehrere Wochen eine Tagesklinik besuchen. Experten wie Wolfersdorf wissen: Die meisten Patienten brauchen zwischen sechs und zwölf Monaten, um sich von ihrer depressiven Krise zu erholen.
Ein Indianer kennt keinen Schmerz
Viele Männer definieren sich und ihren Selbstwert über ihren Job: Wer viel arbeitet, der ist auch wer. Kein Wunder also, dass die berufliche Situation bei Männern der dominierende Risikofaktor für eine Depression ist (siehe auch Kapitel 1 »Die ›neue‹ Männerkrankheit«), zumindest aber ist er der am besten untersuchte. So liegt es nahe, die zunehmenden Betroffenenzahlen der männlichen Depression mit der sich rasant verändernden Berufswelt in Verbindung zu bringen. Denn Normen, die dem Mann früher Sicherheit gaben, bröckeln in der heutigen Zeit – und stellen das Selbstbild des Mannes, mitunter sogar seine Daseinsberechtigung in Frage. So sind Frauen heute viel trennungsbereiter als früher, da sie selbstständiger sind, ihr eigenes Geld verdienen und nicht mehr auf den für sie sorgenden Mann angewiesen sind. Männer fühlen sich in ihrem Job oft sehr unter Druck gesetzt – und fühlen sich dadurch enorm belastet. Dabei muss klar sein: Stress ist nicht gleich Depression. Allerdings ist wiederkehrender Stress ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen wie eine Depression. Private Probleme können eine solche Entwicklung katalysieren. Im Gegensatz zu den Frauen, die eine Trennung erleben, steigt das Depressions- und Suizidrisiko bei Männern nach dem Auseinanderbrechen einer Beziehung um ein Vielfaches.
Einer amerikanischen Untersuchung zufolge ist die Frau mittlerweile in jeder vierten Familie in den USA die Hauptverdienerin. Und die Frauen dringen in männerdominierte Berufe vor: Sie arbeiten als Pilotinnen, dienen in der Armee und verdingen sich auf Bohrinseln. Wo haben Männer also noch ihren angestammten Platz? Während Frauen also flexibler auf die Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft reagieren und sich ihnen anpassen, fühlen sich die Männer dadurch vermehrt gestresst, stellten Boadie Dunlop und Tanja Mletzko von der Emory University in Atlanta fest. Männer sind demnach stärker von der zunehmenden Arbeitsplatzunsicherheit und von Arbeitslosigkeit betroffen. Ein Mann, der sich immer über Leistung definiert hat, fühlt sich wertlos, wenn er keine Leistung mehr erbringen kann.
Und sie erkranken häufiger unter belastenden Arbeitsbedingungen: Bei Männern, die viel arbeiten, aber wenig selbst entscheiden und gestalten können oder sich am Arbeitsplatz wenig unterstützt fühlen, treten häufiger Depressionen auf. Auch hohe berufliche Anforderungen bei geringer Entlohnung sind mit einem erhöhten Depressionsrisiko verbunden. Johannes Siegrist, Medizinsoziologe von der Universität Düsseldorf, hat diese Phänomene vor über 20 Jahren untersucht und das Modell zur Entstehung von Krankheit »Gratifikationskrise« genannt. Kurz gesagt bedeutet es, dass fehlende Anerkennung am Arbeitsplatz die psychische Gesundheit gefährdet. Über- und Unterforderung lassen die Seele also gleichermaßen leiden.
Ein weiterer Grund für den zunehmenden Frust unter Männern: Smartphones und WLAN , Billigflieger und stündliche Städteverbindungen zwischen den Metropolen machen es in der heutigen Zeit immer schwieriger, gezielt und regelmäßig Pausen einzulegen. Männer können sich einer Arbeitswelt, die verlangt, dass sie immerzu und überall erreichbar sind, besonders schlecht entziehen, erklärt Manfred Wolfersdorf. »Es wird doch von mir erwartet, dass ich flexibel reagiere und erreichbar bin«, entschuldigen sich viele. Und selbst die Freizeit dient in erster Linie dazu, die berufliche Fitness zu stärken. Statt Mittagsschlaf gibt es Powernapping, Wochenendkurse widmen sich der Work-Life-Balance, und bei der Kosmetikerin wird das Paket
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