Maenner wie Tiger
bleiben.«
»Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen«, sagte Charley.
Ich aber dachte: Halt’s Maul, du Lump! Wenn Charley sich fromm zeigte, wurde mir übel.
Jetzt war ich ganz sicher: Harry hatte seinen Stuhl gerückt, um uns im Spiegel zu beobachten.
»Was werden Sie tun?« fragte ich Dolores.
Achselzuckend deutete sie auf Charley. »Er sagte etwas von einem Engagement bei Ihnen, im Camp.« Auf Harrys Rücken blickend, fuhr sie fort: »Doch viel Hoffnung scheint nicht zu sein.«
»Keinerlei Hoffnung.«
»Wir würden auch für wenig Geld arbeiten.«
»Es ist nicht eine Frage des …«
»Um mich bin ich unbesorgt«, fiel sie mir ins Wort. »Ich komme durch.« Das bestimmt, dachte ich. Ihre Augen waren zu alt für das junge, faltenlose Gesicht. »Aber ich muß an meine Schwestern denken.«
Beide blickten gespannt und nervös auf sie. Die Führung ging entschieden von ihr aus.
Ich gab Charley mit dem Ellbogen einen Schubs und sagte zu Dolores: »Lassen Sie sich von diesem gefährlichen Schwätzer keine falschen Hoffnungen machen …« Da aber überraschte mich Charley. Aufbegehrend platzte er heraus: »Warum soll man ihnen nicht ein bißchen Hoffnung lassen?« Harry mußte es hören, es war laut genug.
»Weil es keine Hoffnung gibt.«
»Ich scheine der einzige zu sein, der Mitleid hat«, erklärte Charley.
»Du? Mitleid? Heuchler! Das ist zum Kotzen!«
Schweiß schoß aus seinen Poren. Er hatte den Sprung gewagt, er sah beunruhigt auf Harrys Rücken, er konnte jetzt nicht mehr zurück. Er sagte laut, laut genug für Harry: »Auch in der Bibel steht, man soll sich der Waisen annehmen …«
Da drehte sich Harry mit einem Ruck um und sah starr auf uns. Ich fürchtete weiteren Verdruß. Für einen Abend hatte es schon genug Verdruß gegeben.
Hastig sagte ich zu Dolores: »Sie müssen ein Nachtquartier finden!«
»Die Nächte sind warm, es bleiben immer noch die Torwege …«
»Nein, nein!« wehrte ich ab und dachte an all das, was ihnen dort im Finstern zustoßen könnte. »Versuchen Sie’s in der Taverne gegenüber!«
Hoffnungslos sagte sie: »Man wird uns nicht aufnehmen.«
Ich glaubte es auch nicht. Wo immer sie hingingen, waren sie unwillkommen. »Gehen Sie, rasch! Sagen Sie drüben, ich werde es bezahlen.« Sie wußte: Ich wollte sie und ihre Schwestern loskriegen.
Sie sah höhnisch auf Harry, zuckte die Achseln und gab ihren Schwestern ein Zeichen. Alle drei langten lethargisch nach den Bündeln und gingen zur andern Taverne hinüber.
Harry war leise hinter uns herangekommen, das wußte ich. Aber ich sah ihn nicht, sah ihn erst, als er Charley wieder am Hemdkragen faßte und zu würgen begann. Seine rohe Art machte mich fertig.
»Wirst du jetzt aufhören! Ich hab’ genug!«
»Der falsche Hund!« schrie Harry.
»Du wirst ihn nicht bessern, wenn du ihm den Kopf abreißt.«
»Es wäre das beste!«
»Sollen wieder die Leute zusammenlaufen?«
»Dieser Dreckskerl wagt es, für mich zu entscheiden …«
»Vielleicht sind deine Entscheidungen zu voreingenommen!«
»Was sagst du da?«
»Harry, setzen wir uns, und reden wir in Ruhe darüber!«
»Darüber gibt’s nichts zu reden!«
»Doch, Harry!«
Mutlos sah er mich an, als zerbröckelten die Grundmauern unter ihm. Ich weiß nicht, was er von mir erwartete: ihn verteidigen, ihm vergeben?
Er gab Charley frei. »Also gut«, sagte er.
Ich wandte mich zu Charley: »Los! Sag’s ihm!«
»Er wird mich schlagen!«
»Deine Strafe hast du schon. Schlimmer kann es nicht sein.«
»Sagen Sie’s ihm, Senhor Juan!«
»Nein. Du hast es eingebrockt, jetzt löffle es aus!«
Charley blickte in die andere Taverne hinüber. Unter den rußenden Petroleumlampen, die von der Decke baumelten, konnten wir die Mädchen stehen sehen: Sie redeten mit dem patrón , versuchten ihn zu überzeugen, er aber machte nur abweisende Gesten. Ich wußte: Es war aussichtslos. Charley traf genau die richtige Tonart. Er sagte: »Die Mädchen werden verhungern.«
»Was soll ich machen? Eine Armenküche hier eröffnen, damit sie zu essen haben?«
»Geben Sie ihnen Arbeit!«
»Arbeit, so wie du sie dir vorstellst, du Schweinehund!«
»Beleidigungen sind so schlimm wie Schläge«, sagte Charley erstaunlich würdevoll. »Wir wollen darüber sprechen, wie es unter Gentlemen üblich ist.«
»Schluß jetzt!«
»Senhor Harry, denken Sie doch nach, nur ein wenig! Was wird geschehen, wenn wir fort sind? Sie sind allein, schutzlos, sind Mädchen. Für Männer ist’s hier
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