Maenner wie Tiger
Balkongitter saß: Barney. Ja, ich erkannte sogar seine wiehernde Bierstimme. Da begannen die Mädchen von drinnen her auf die Scheiben zu dreschen. Eines von ihnen schrie. Hör auf! Hör auf! wünschte ich mir.
Ich wandte mich um und sah Harry und Miguel vom Lastwagen kriechen. Den Priester konnte ich nicht mehr einholen. Ich sah ihn gerade noch durch die Tür verschwinden und die Treppe hinaufschießen. Um die Leiter herum standen nur wenige, alle angeduselt. Barney hielt sein dummes Bukett in der Hand und balancierte auf der Leiter oben wie ein Zirkusclown. Der mit dem Akkordeon, der hinter ihm dreinkam, stieg mit einem Bein über das Balkongitter.
Ich schrie: »Herunter, ihr Narren!« Aber ich war zu weit weg, und es hörte sich an, als schrie eine Fledermaus gegen den Wind.
Dann kam alles wie in einem Film, der zu schnell abrollt: Der Priester sauste auf den Balkon heraus. Barney kicherte, ein wenig trunken, aber nicht betrunken, und streckte ihm die Blumen entgegen. Durch die offene Tür konnte ich die Mädchen hören; da schlug der Priester sein Kruzifix in Barneys Gesicht – erst später erfuhr ich, daß es das Kruzifix gewesen war. Der Mann mit dem Akkordeon tauchte über das Gitter hinunter, lachte wie ein Missetäter, der rechtzeitig entwischt, und glitt den Pfosten hinab. Barney blieb auf der Leiter, die kippte und mit ihm in einem weiten Bogen zur Erde stürzte. Es schien mir zu gekonnt, sogar für einen Zirkusclown.
Der wäre aufgestanden. Aber Barney rührte sich nicht, lag da, zu echt, zu wirklich, mit dem Kopf unter dem Ellbogen. In diesem Moment kam ich angekeucht. Ich berührte ihn mit dem Fuß und wußte, daß er tot war, so tot wie die zersplitterte Leiter, so tot wie ein Stein. Ich blickte auf und sah Pater Luis, der sich über das Balkongitter herunterneigte: sein heiliges, hohlwangiges Gesicht entflammt, als hätte ihn Barneys letzter Streich hinters Licht geführt.
Das ging alles zu schnell, sogar für den starken Streiter Gottes. Nun, dachte ich, hoffentlich hat er entsprechende Argumente bereit, wenn er einmal vor Gott stehen wird.
Da hörte ich jemanden keuchen. Ich drehte mich um und wollte sagen: »Hör auf!« Aber ich war’s ja selber, der nämlich, der keuchte. Ich nahm mich zusammen. Es wurde unerträglich still. Die paar Männer um uns starrten auf Barney, kamen aber nicht näher. Niemand wollte ihn anrühren. Schwer atmend kam Harry bei uns an. Er beugte sich über Barney, drehte ihn auf den Rücken. Ich sah das leere, seltsam erstaunte Gesicht, das im Tod klar war und ernüchtert, mit dem offenen Mund, als hätte Barney noch etwas einwenden wollen. Der Spaß war entschieden zu weit gegangen.
Dann sah ich Luke, dann Leo, dann die Flasche unter Leos Arm. Und Leo sah Barney an, und sein Gesicht versteinerte sich, und er setzte die Flasche zu Boden.
Pater Luis tauchte auf. Augenblickslang hielt er im Dunkel der Veranda an und blickte auf uns. Dann ging er zu Barney, kniete neben ihn nieder, sagte etwas Lateinisches, das mit »mea culpa« begann. Aber ich habe seit vierzig Jahren nicht mehr Latein betrieben, und zudem sagte er es leise und flüsterte weiter, als wäre er allein da. Immer noch Latein. Immer noch leise.
Er bekreuzigte sich, als er zu Ende war. Dann drückte er Barney die Augen zu, die mich anklagend angesehen hatten, obwohl ich nichts getan hatte. Pater Luis blieb knien, er sammelte sich.
Harry sagte ihm: »Das hätten Sie nicht tun müssen.«
Pater Luis sah ihn nur an.
Harry sagte nochmals: »Das hätten Sie nicht tun müssen. Ganz sicher nicht!« Kalkweiß und bitter war er vor Zorn.
Der Priester sah ihn weiterhin wie verloren an, seine Lippen bewegten sich, aber er sagte noch immer nichts und stand noch immer nicht auf.
Luke hatte Barney wieder aufs Gesicht gedreht und beschäftigte sich mit ihm. Ich wollte nicht sehen, was er tat.
»Wie ist es denn passiert?« fragte mich Harry.
Ich erzählte es ihm.
»Was wollten sie eigentlich dort oben?«
»Nun, du weißt ja.«
»Aber es war doch nicht ernst gemeint? Nicht wirklich ernst?«
Ich weiß nicht, was er von mir als Antwort erwartete.
Als er aufblickte, bemerkte er Dolores: Julia auf dem Balkon. Ihre Schwestern drückten sich hinter sie. Drei Julien. Aber Romeo lag da, zerschmettert, und ich glaube nicht, daß er die Shakespearesche Version verbesserte. Harrys Miene umdüsterte sich. »O Gott!« hörte ich ihn seufzen.
Luke stand auf. »Das passiert unter zehn Fällen nur einmal«, sagte er und
Weitere Kostenlose Bücher