Männerküsse: homoerotische Geschichten (German Edition)
ich habe Dir so viel zu sagen. Es gibt so viele Dinge, die mir unendlich leidtun und für die ich mich bei Dir entschuldigen möchte. Allerdings habe ich keine Ahnung, ob das überhaupt noch etwas bringt. Wer weiß, was Du in Köln machst. Wer weiß, wen Du kennengelernt hast, ob Du überhaupt noch an mich denkst, oder ob Du vielleicht schon …
Vehement schüttelte André den Kopf und nuschelte ein »Spinner«, worauf die strickende Dame ein irritiertes Geräusch von sich gab. André jedoch blickte nicht zu ihr auf, sondern hielt die Augen auf Florians Schrift gerichtet, die anfangs noch recht gerade verlief, später allerdings schief und unregelmäßig wurde.
Die Sache ist die … Ich vermisse Dich fürchterlich. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr. Ich vermisse es, neben Dir aufzuwachen und mir meinen Morgenkuss bei Dir zu holen. Ich vermisse es, mit Dir zu duschen, unter dem Wasser herumzualbern, Dich zu waschen, Dich zu massieren, Dir einen zu blasen oder Dich in mir zu spüren.
Ich vermisse Deine Muffins, die Du manchmal zum Frühstück gebacken hast, und ganz besonders: Deine Umarmung, Deinen Kuss, Deine geflüsterten Worte, wenn ich das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren.
Unbewusst hatte André den Schal vom Haken zu sich heruntergezogen und hielt ihn zwischen den Händen fest, während er las. Ein leises Räuspern holte ihn zurück in den Zug.
»Das ist aber ein hübscher Schal. Sieht nach einem feinen Material aus. Darf ich fragen, wo Sie ihn gekauft haben?«
André blickte auf, in die interessierten Augen der älteren Dame, die hinter zwei dicken Brillengläsern steckten. »Uh«, antwortete er. »Der gehört eigentlich nicht mir. Ich habe ihn mir …« André stockte kurz und erinnerte sich, wie er im letzten Jahr blind irgendwelche Klamotten gepackt und in seine Tasche geworfen hatte. Da war auch der Schal dabei. Florians Schal. »… geborgt. Von meinem Freund.«
Die Dame blinzelte, hielt in ihrer Strickerei einen Augenblick inne und nickte dann. »Schön, wirklich schön.«
Die vorbeiziehenden Felder waren mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt, als André aus dem Fenster sah. Der Himmel hatte sich aufgeklart und sanfte Sonnenstrahlen lugten durch die Wolken.
Aber was mir am meisten fehlt, ist, Dich bei mir zu wissen, mit Dir sprechen zu können, mit Dir zu lachen, faul auf der Couch vor dem Fernseher zu liegen und Fußball zu gucken. Ohne Dich geht es nicht. Das letzte Jahr war das schlimmste meines Lebens.
Komm nach Hause, André. Komm zurück zu mir.
Dein Florian.
***
Im Haus der Familie Baumgarten in der Hamburger Altstadt duftete es nach Zimtplätzchen und aus dem Radio erklang eines der unzähligen nervigschönen Weihnachtslieder. Florian hatte vierzehn Tage Urlaub vor sich und verbrachte die Weihnachtswoche bei seinen Eltern. Er war nicht gern allein in seiner Wohnung – schon lange nicht mehr. Dort war es kühl, trostlos und still. Hier dagegen war alles bereits in grünen, roten und goldenen Farben geschmückt; es war warm und roch nach Kindheit.
»Mutter, nun komm endlich! Du weißt, wie voll es im Einkaufszentrum sein wird.« Florian stand, ungeduldig mit den Fingern auf das Treppengeländer klopfend, im Flur und schwitzte in seiner Daunenjacke und den Handschuhen vor sich hin. Die Toilettenspülung war zu hören, kurz darauf das Wasser des Waschbeckens. Hastig kam seine Mutter aus dem Badezimmer auf ihn zugelaufen.
»Schätzchen, du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du so drängelst.« Sie klatschte ihm mild ein paar Mal auf die Wange. »Oh, ich hab’ noch was vergessen. Bin gleich wieder da.«
Im nächsten Moment war sie in der Küche verschwunden und Florian rollte mit den Augen. Sie hatte noch nicht mal Schuhe an. Er wusste, wie lange gleich bei Frauen dauern konnte.
Ein Blick ins Wohnzimmer verriet, dass sein Vater die alten Platten aus den 50-ern hervorholte, um wie jedes Jahr gegen den »unerträglichen Pop-Mist« aus der Küche anzutreten. Florians hochschwangere Cousine Melinda war mit ihrer bereits vierköpfigen Familie ebenfalls zu Besuch, und die Kleinen tobten polternd die Treppe herunter. Als auch noch das Telefon klingelte und Florians Mutter in der Küche abnahm, gab sich Florian geschlagen und zog Handschuhe und Jacke wieder aus.
Er musste trotz des Lärms und des Trubels lächeln. Es war wunderbar, im Vergleich zu dem Gefühl, was er durchleiden müsste, wenn er allein bei sich zu Hause wäre. Alles hätte ihn, wie jeden einzelnen Tag des
Weitere Kostenlose Bücher