Männerküsse: homoerotische Geschichten (German Edition)
vergangenen Jahres, an André erinnert. Wie immer, wenn er an seinen Ex-Freund dachte, zog Florian sein Handy hervor und überprüfte, ob ein Anruf oder eine Kurznachricht eingegangen war. Wie immer war dem nicht so. Florian redete sich ein, dass die Post zur Weihnachtszeit besonders viel zu tun hatte und einige Briefe womöglich länger unterwegs waren.
Als es an der Tür klingelte, rief seine Mutter irgendetwas Unverständliches in Richtung Flur. Florian öffnete die Haustür, drehte den Kopf dabei nach links und antwortete: »Egal was du gesagt hast, wenn du in zehn Minuten nicht fertig bist, fahr ich ohne dich los.« Lächelnd drehte Florian wieder den Kopf zurück und sah dem Besucher vor der Tür ins Gesicht.
Er hatte sich die Haare länger wachsen lassen. Das war das Erste, was ihm an André auffiel. Sie spielten in sanften Wellen um seine Ohren und reichten ihm wahrscheinlich bis in den Nacken. Und sie waren heller, als er sie in Erinnerung hatte. Andrés dunkle Augen strahlten ihm entgegen. Es sah ihm ähnlich, sich nicht anzukündigen und hier einfach überraschend aufzutauchen. Florians Blick blieb an Andrés Hals hängen.
» Du hast ihn also gehabt«, brachte Florian schließlich hervor und deutete auf den Schal. Er hätte ihn in den letzten Wochen gut gebrauchen können, doch immer, wenn er im Geschäft vor einem neuen stand, hatte ihn etwas daran gehindert, sich einen zu kaufen.
»Ja, ich hatte ihn. Willst du …« André hob den Arm, um den Schal abzunehmen.
»Nein, nein. Schon gut. Behalt ihn. Er steht dir ohnehin besser als mir.« Florian wusste nicht, was er noch sagen sollte. Sekundenlang standen sie nur voreinander und sahen sich an. Florian entdeckte eine kleine Reisetasche in Andrés Hand. Sein Puls beschleunigte sich und das Blut schoss ihm in die Wangen.
»Wer ist es denn?«, rief seine Mutter aus der Küche.
»Es ist … ähm … Ich glaube, du musst alleine einkaufen fahren.«
In diesem Augenblick verwandelte sich Andrés Mund zu einem breiten Grinsen und er begann zu sprechen. »Ich war bei dir, aber du warst nicht da. Was ja offensichtlich ist. Und ich dachte mir, ich probiere es einfach mal hier. Wenn das okay war?«
»Oh, natürlich. Natürlich ist das okay!«
Seine Mutter erschien neben Florian und lugte um die Tür herum. »André. Lange nicht mehr gesehen«, sagte sie begeistert. Florian spürte, wie ihm seine Mutter sanft auf die Schulter klopfte und dann wieder verschwand.
Florian lächelte verlegen und fuhr sich durch die schwarzen Strähnen. »Ich würde dich ja gerne reinbitten, aber du kennst meine Verwandten. Einmal in ihren Fängen, kommst du hier so schnell nicht wieder los.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Wollen wir …« Florian stockte, wurde unsicher, doch dann gab er sich einen Ruck. »Wollen wir zu mir?«
»Liebend gern.«
Zwei Stunden später saß er mit André gemütlich auf seinem, oder vielmehr ihrem Sofa. Es roch nach Kakao, und Florian hatte den kleinen Kamin zum ersten Mal seit dem letzten Winter angemacht. Es wurde angenehm warm in der Wohnung. Andrés Anwesenheit erfüllte sie und machte sie wieder vollkommen.
Ihre Unterhaltung war leise und vorsichtig. Wie zwei Tiere, die sich langsam beschnuppern mussten, wählten sie nur sichere Themen und vermieden krampfhaft alle, die ihre jahrelange Beziehung betrafen. Bald schon wurde dieses Unterfangen schwierig, und wachsam begannen sie aufzuarbeiten, was wirklich wichtig war.
Anschließend schwiegen sie eine Weile, nur das Knistern im Kamin unterbrach die Stille. Florian dachte über das Gesagte und Gehörte nach. Plötzlich bemerkte er, dass auch diese Situation eins der Elemente war, die ihm so sehr fehlten. Einfach nur beieinander zu sein, wissend, dass der Andere nur eine Armlänge entfernt war, miteinander schweigen zu können. Draußen fing es an zu schneien.
Florian zog ein Knie an, drehte sich nach rechts und legte den Arm auf die Lehne, um André anschauen zu können. »Ich werde mich ändern. Ich werde mich anpassen. Ich kann meine Macken ablegen und meine Launen unterdrücken. Zumindest verspreche ich dir, es zu versuchen.«
Lange waren Andrés Augen danach auf ihn gerichtet. »Ich will nicht, dass du dich veränderst, dich nur meinetwegen anpasst. Ich will dich, so wie ich dich kennengelernt habe. Ich mag deine Macken. Einige zumindest. Ich will, dass du weiterhin zum Frühstück Marmelade mit Käse isst. Ich will die zerquetschte Zahnpastatube sehen, über deine Schuhe stolpern, die in
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