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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf seinen dicken Gummisohlen die Treppe hinauf zur Männerstation III und betrat das Zimmer.
    Evelyn Frerich saß am Bett ihres Mannes und lachte. Sie hatte eine große Obstschale ausgepackt, und zum erstenmal unterhielt sich Frerich mit seiner Frau und fragte nicht, woher sie das Geld für die neuen Schuhe hatte, die sie trug.
    Beißelmann blieb mit starren Augen an der Tür stehen. Natürlich, dachte er. Die Röntgenstation hat zwei Ausgänge. Man kann sie auch verlassen über das Röntgenzimmer, ohne wieder durch die Kabinen zu gehen.
    Diese Erkenntnis verwirrte ihn. Wie lange war Evelyn schon im Zimmer 5? Hatte Dr. Sambaresi wirklich nur die Röntgenplatten gezeigt und Frau Frerich dann nach wenigen Minuten hinausgelassen, während er im Treppenhaus stand und wartete und das Todesurteil über den Arzt vom Kilimandscharo fällte?
    Beißelmann wandte sich ab und verließ das Zimmer, ohne Frau Frerich noch einmal anzusehen. Auch sie beachtete ihn nicht; sie scherzte mit ihrem Mann und fütterte ihn mit Erdbeeren, die sie in eine Tüte mit Zucker tunkte.
    Wie ein Schatten glitt Beißelmann in das Zimmer 10. Schwester Inge saß am Bett des sterbenden Brohl. Er röchelte, sein Mund stand weit offen, die Augen waren schon eingesunken. Es konnte nicht mehr lange dauern.
    »Wo ist Frau Schmeltzer?« fragte Beißelmann leise.
    »Weggegangen zum Mittagessen. Sie kommt nachher wieder.«
    Beißelmann nickte. »Sie können auch gehen, Inge. Ich bleibe hier.«
    Er setzte sich neben den Kopf Brohls, legte die Hände auf den Knien zusammen und sah den Sterbenden an. Das Klappen der Tür, als Schwester Inge hinausging, hörte man kaum.
    Über Beißelmann kam eine milde Ruhe. Er beugte sich vor, tupfte mit einem Mulltuch den kalten Schweiß von Brohls verfallenem Gesicht und stopfte das Kopfkissen etwas unter den Nacken, damit der Sterbende besser lag.
    Wie ruhig es hier ist, dachte er. Was nützte dieses ganze aufregende, jagende Leben … sterben muß jeder für sich allein. Was ist ein Mensch noch, wenn er so daliegt wie dieser Ernst Brohl? Wir alle liegen einmal so, sind ein Nichts.
    Er beugte sich wieder über Brohls Gesicht. Der Sterbende bewegte die Lippen. Aber es war eine stumme Sprache, schon jenseits aller menschlichen Töne.
    Beißelmann sah auf die eingesunkenen Augen Brohls. Ich werde Frau Frerich nach Dr. Sambaresi fragen, dachte er. In ihm wallte es aus einem rätselhaften Urgrund wieder auf. Ich werde sie fragen! Sie hat zehn Jahre in mir weggewischt … sie kann nicht einfach wieder gehen …
    Mit einem tiefen Seufzer starb Ernst Brohl.
    Seine Schwester kam zehn Minuten zu spät. Aber sie war satt. Sie hatte Schweinebraten mit Kartoffelklößen gegessen.
    *
    Der Aufbruch Evelyn Frerichs fiel zusammen mit dem Abtransport des Leichnams Brohls. Dr. Bernfeld hatte den Tod festgestellt und hatte Frau Schmeltzer mitgenommen, um sie zu beraten, was nun zu geschehen habe. Mit dem Tod eines Menschen beginnt eine große Rennerei von Behörden zu Behörden, denn bis er aktenkundig wirklich tot ist, bedarf es der Ausfüllung mancher Fragebogen. So war Beißelmann allein mit Brohl, lud ihn auf den berühmten flachen Totenwagen, breitete ein Laken über den langgestreckten Körper und fuhr ihn zum Lastenaufzug, der ihn hinuntertragen sollte zum Leichenkeller, wo Brohl gewaschen und rasiert wurde und in den Sarg, den Frau Schmeltzer sofort bestellen mußte, eingebettet werden würde.
    Auf diesem Wege, den Wagen vor sich herschiebend, trafen Paul Beißelmann und Evelyn Frerich zusammen. Er sah, daß sie die Station schnell verlassen wollte, ohne mit ihm zu sprechen, ja, es machte fast den Eindruck einer Flucht.
    Mit verschlossenem Gesicht schob Beißelmann den Totenwagen quer in den Flur und versperrte Evelyn mit der Leiche Brohls den Ausgang zum Treppenhaus.
    »Ich habe mit Ihnen zu sprechen«, sagte er dumpf. »Sofort!«
    »Bitte, lassen Sie mich durch!« Evelyn Frerich starrte auf die Gestalt unter dem weißen Laken. Grabeskälte zog durch ihren Körper, ein eiskalter Schauer, der ihre Zähne klappern ließ.
    »Nein!« Beißelmann senkte den Kopf. »Kommen Sie mit!«
    »Mit … mit dem da …?«
    »Er hört und sieht nichts mehr. Er ist der beste Kamerad.«
    Über Evelyns Körper jagte ein heftiges Zittern. »Lassen Sie mich durch!« rief sie schrill. »Machen Sie Platz, oder ich schreie!«
    Beißelmann sah sie aus eingesunkenen Augen an. Wie ein mumifizierter Kopf wirkte sein Gesicht. Er strich mit seiner großen Hand leicht

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