Männerstation
Einsehen das Allerwichtigste!«
Auf der Männerstation III wurde Beißelmann ausgefragt. Lukas Ambrosius, Hieronymus Staffner und Paul Seußer, der ewige Rülpser, hatten einen Kreis um den Krankenpfleger gebildet. Karl French lag still im Bett. Er war gelbblaß im Gesicht und biß die Zähne aufeinander. Die Wirkung der nächtlichen Rauchorgie stellte sich ein. Er spürte wahnsinnige Lungenschmerzen, aber er verbiß sie, sagte kein Wort und krallte bei den Schmerzintervallen unter der Decke die Finger in die Matratze. Nur seine Augen weiteten sich, die Mundwinkel zuckten, und wenn er Beißelmann ansah, war dies wie ein lautloser Hilferuf. Aber Beißelmann reagierte nicht. Er kümmerte sich um Paul Sencker, den Mann, der sein eigenes Kind zu Tode gefahren hatte.
»Also auch besoffen!« sagte Staffner und schielte zu Sencker. »Und was ist mit dem Mädchen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Beißelmann.
»Wie glatt Sie lügen können!« Lukas Ambrosius hatte bereits nähere Informationen bei seinen Küchenmädchen eingeholt. Er war überall gut bekannt und hatte ein großes Pensum zu erledigen, mindestens mit jedem Mädchen eine halbe Stunde lang irgendwo in dem großen Krankenhausbau allein zu sein. Schwester Angela hatte ihn schon aus der Kammer herausgeholt, wo die schmutzige Stationswäsche gesammelt wurde für die Wäscherei. Mit einem Mädchen der Männerstation I saß er auf einem Berg blutiger Bettwäsche und knutschte hingebungsvoll.
»Das ist der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit!« hatte Schwester Angela gerufen. »Nächstens treffen Sie sich noch in der Leichenhalle!«
»Wenn Sie mir den Weg dorthin zeigen, Schwester«, hatte Ambrosius zurückgebellt. »Leider kenne ich ihn nicht … aber dort hat man wenigstens seine Ruhe vor Schnüfflern …«
Heute nun war Ambrosius bereits bestens unterrichtet. Aus der Frauenstation war durchgesickert, daß die Begleiterin Dr. Sambaresis eine Amerikanerin sei, die in Tanganjika lebte und deren Eltern Bawuno Sambaresi das Medizinstudium finanziert hatten. In Arusha galten sie als zukünftiges Paar. Der Massaidoktor und die weiße Pflanzerstochter. Seit einigen Jahren wurde deshalb die Familie Fortyn von den anderen Weißen geschnitten und verachtet. Auch ein akademischer Farbiger blieb für sie Farbiger.
»Sie heißt Marylin Fortyn und ist die Braut von Doktor Sambaresi gewesen«, sagte Ambrosius. Er sonnte sich in seinem Wissen, vor allem in dem Blick Beißelmanns, der den Kopf vorstieß.
»Quatsch!« sagte der Krankenpfleger.
»Wieso?« Ambrosius war beleidigt. »Wenn jemand aus der Narkose aufwacht, die Schwester ansieht und als erstes fragt: ›Wie geht es meinem Bräutigam?‹, dann ist das wohl ein klarer Fall, was?!«
»Das hat sie gefragt?«
»Ja.«
»Woher wissen Sie das?«
»Man hat so seine Informationsquellen.« Ambrosius grinste eindeutig und beleckte sich die Lippen. »Immer die Dinge von morgen wissen, das ist …«
»Halten Sie den Mund, Sie Waschweib!« Beißelmann durchbrach den Kreis und ging zu Schwester Inge, die am Tisch saß und die Fiebermessungen auf die Fieberblätter übertrug. Sie sah müde aus, ein wenig verstört und nervös, und sie zuckte heftig zusammen, als der Schatten Beißelmanns über sie fiel. Sie hatten sich noch nicht gesprochen seit dem vergangenen Abend.
»War's schön?« fragte Beißelmann dumpf. Inges Kopf zuckte hoch.
»Ja«, sagte sie leise. »Und ich danke Ihnen noch schön, daß Sie für mich die Nachtwache …«
»Ich muß Sie sprechen.« Beißelmann beugte sich über ihre kleine, weiße Haube. Es war ihr, als wolle ein Gebirge niederstürzen und sie erdrücken. »Es ist wichtig.«
»Nach dem Mittagessen. Ich habe dann eine Freistunde …« Inge atmete auf, als sich Beißelmann wieder aufrichtete. »Was ist es denn?«
»Das kann ich Ihnen hier nicht sagen.«
»Ich weiß, was Sie denken!« Inge legte die beiden Farbstifte – rot und blau – auf den Tisch. Mit dem einen wurde der Puls, mit dem anderen das Fieber eingezeichnet. »Ich habe vorhin schon eine Andeutung von Doktor Bernfeld gehört, ganz diskret, mehr eine Warnung hinter vorgehaltener Hand, aber deutlich genug. Um es gleich zu sagen: Ich weiß, was ich tue.«
»Gut, gut!« Beißelmann hob beschwichtigend die Hand. »In der Mittagspause dann. Kommen Sie zu mir?«
»Zu Ihnen?«
»Ich beiße nicht.« Er sah auf ihre braunen, glänzenden Haare, die von der Haube nicht verdeckt wurden. »Wissen Sie … Sie könnten meine Tochter sein … das ist
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