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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es nur … Und Sie haben keinen Vater gehabt.«
    »Nein«, sagte Schwester Inge leise. Sie sah Beißelmanns ausdruckslose Augen, die Sonne glitt über sie hinweg, mit einem kurzen, flüchtigen, goldenen Strahl, und plötzlich lebten diese Augen und waren kraftvoll und voll Vertrauen. »Ich komme in Ihr Zimmer …«
    Wortlos wandte sich Beißelmann wieder ab und ging zu Heinrich Dormagen, dem Mann mit dem Magenkrebs, den sie alle belogen mit dem Märchen von den nervösen Magennerven und der zu geringen Magensäure.
    In den letzten Tagen hatte sich sein Zustand äußerlich nicht verschlechtert, nur im Inneren hatte eine Entwicklung begonnen. Dormagen spürte es an zwei Dingen: der letzte Stuhlgang war mit Blut durchsetzt – Dr. Pflüger hatte es okkultes Blut genannt –, und seit zwei Tagen hatte er Schmerzen im unteren Teil der Brust, was Dr. Pflüger – ebenfalls für Dormagen unverständlich – kommentierte: »Aha! Hinter dem Sternum. Fornix.«
    Ein Hörfehler war schuld, daß Dormagen sich nach der Visite anhören mußte, was Paul Seußer erklärte: »Nun ist ja alles klar, Kameraden. Wir haben's eben gehört. Der Dormagen hat einen quersitzenden Furz im Magen.«
    In Wahrheit waren diese beiden Anzeichen der Beweis, daß das Magenkarzinom Dormagens sich unangreifbar ausgeweitet hatte. Eine Tastuntersuchung bewies es: Die Virchowsche Drüse, jener Lymphknoten hinter dem Schlüsselbeinansatz des linken Muskulus sternocleidomastoideus, war deutlich vergrößert und erbsenhart. Die Metastasierung hatte den hoffnungslosen Grad erreicht. Auch bildete sich ein kleiner, noch kaum tastbarer Knoten im Nabel. Oberarzt Dr. Pflüger hatte das alles in das Krankenblatt und den Visitenbericht eingetragen.
    Dieser Visitenbericht war ebenfalls eine Neuerung von Prof. Morus, die er erdacht und eingeführt hatte gegen den passiven Widerstand seiner Ärzte. »Wir verbeamten immer mehr!« hatte der II. Oberarzt gemault, als das Formular im Entwurf herumgereicht wurde. »Es kommt noch so weit, daß wir die Phonstärke jedes abgehenden Windes messen müssen …« Andererseits stellten diese Visitenblätter eine wertvolle Denkstütze dar. Es war von jetzt ab unmöglich, daß ein Arzt bei der Vielzahl seiner Patienten den Überblick verlor und wichtige Kleinigkeiten im Allgemeinbefinden oder in der detaillierten Diagnose vergaß oder verwechselte. Jede kleinste Beobachtung wurde notiert, und so ergab sich bei jedem Patienten ein deutlicher Krankheitsverlauf, den man nachlesen konnte wie Kommentare zu einem medizinischen Lehrbuch.
    Auch Heinrich Dormagen war solch ein Kommentar. Er war nichts Außergewöhnliches, im Gegenteil: Es war wie immer! Die Entwicklung seines Magenkrebses zum Endstadium war so lehrbuchmäßig und die Hilflosigkeit der Ärzte, die nicht wußten, wie sie diesen Krebs bekämpfen sollten, ebenfalls so deprimierend, daß sowohl Dr. Pflüger wie auch Prof. Morus nicht darüber sprachen, sondern – wie in Hunderten von Krankenhäusern – erwogen, Dormagen nach Hause zu entlassen. Sterben kann man auch im eigenen Bett, Morphium zum Überdecken der bald aufkommenden wahnsinnigen Schmerzen konnte auch der Hausarzt injizieren, helfen konnte ihm keiner mehr … aber das Bett brauchte man im Krankenhaus für einen Menschen, dem noch zu helfen war. Für Dr. Pflüger und Prof. Morus war der kleine Fabrikant Heinrich Dormagen bereits medizinisch tot, auch wenn er noch sprach, seine Süppchen aß, die Tageszeitung las, die Post, die seine Frau ihm brachte, durchsah und einige Dinge diktierte oder ab und zu einen Vortrag hielt über die miese wirtschaftliche Lage der Kleinbetriebe, denen die Steuer die Luft abdrehte.
    Beißelmann erledigte seine Morgenarbeit auf der Männerstation III. In den Zimmern 1, 3 und 7 mußte er fünf Patienten waschen, die sich nicht rühren konnten, dann rollte er zwei Neuaufnahmen zum Röntgenraum und holte einen Frischoperierten aus dem OP ab. Dort arbeitete der II. Oberarzt mit einem kleinen Ärzteteam und machte gerade eine Cholezystotomie, die operative Eröffnung der Gallenblase.
    Oberarzt Dr. Pflüger war noch nicht gekommen. Dafür stand aber Prof. Dr. Morus im Vorbereitungsraum, im hellgrauen Anzug, ohne Arztkittel, wie ein Fremdkörper wirkend inmitten der weißen, sterilen Gestalten. Als er Beißelmann mit seinem rollenden Bett sah, winkte er ihm zu.
    »Kommen Sie gleich mal auf mein Zimmer«, sagte er. Seine Laune schien nicht die beste zu sein, man merkte es an den Schwestern und jungen

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