Männerstation
nicht manifestiert hatten. Daß sie irgendwo vorhanden waren, lag außer allem Zweifel. Wenn der Operierte wirklich eine Jahresgrenze nach dem Herausnehmen der krebsbefallenen Niere überlebte, so hatte er die Chance, noch etwas weiterzuleben, bis die Metastasen eine andere Körperfunktion abdrückten. Diese immer wiederkehrende Erkenntnis, selten heilen, sondern nur das Leben verlängern zu können, um eine geringe Zeitspanne, lag auch jetzt im Raum, als der Kranke im Vorbereitungszimmer von Dr. Birkel, einem jungen Narkosearzt, für die Intubationsnarkose vorbereitet wurde.
Morus und Dr. Pflüger wuschen sich, Dr. Bernfeld war bereits fertig und stand mit gewinkelten Armen und vom Körper weggestreckten Händen steril neben dem OP-Tisch. Beißelmann assistierte Dr. Birkel, den Tubus einzuführen, der technisch schwierigste Teil der Intubationsnarkose.
Dr. Pflüger wandte den Kopf zu Prof. Morus, der seine Finger mit einer harten Bürste bearbeitete.
»Jetzt werden es Hunderttausende in der Zeitung lesen, Herr Professor«, sagte er. »Aber ich bezweifle, daß man alles drucken wird, was Sie gestern abend gesagt haben.«
»Wenn die Zeitungsleute einen Funken Mut und Verantwortung gegenüber ihren Mitbürgern haben, werden sie es tun.«
»Und was erwarten Sie jetzt?«
»Einige tausend Leserbriefe, die Bravo schreien … und später die gleiche denkfaule Masse, die zur Wahlurne geht und bestätigt, daß ihre Vertreter in der Politik das Richtige getan haben! Und sie werden weiterhin keine Krankenhausbetten bekommen, die Aids-Forschung wird blockiert werden, es wird kein Geld da sein für Krebsforschung und Kurheime zur Nachbehandlung Geschwulstkranker … es wird alles beim alten bleiben … nur wird man wieder einige Millionen verschenken, damit sich der Präsident Tanabuwo von der Silberküste am schönen Ozean einen Palast bauen kann …«
Durch die Glastür wurde der Patient gerollt und auf den OP-Tisch gehoben. Dr. Bernfeld gab die Lage an, kontrollierte mehrmals und nickte dann zufrieden. Dr. Birkel begann mit der Narkose. Beißelmann verließ den OP und wartete im Vorbereitungsraum. Dr. Pflüger sah sich um, während ihm eine junge Ordensschwester die Gummischürze umband und die Kappe aufsetzte. Prof. Morus seifte noch die Unterarme bis zum Ellenbogen ab.
»Patient ist narkotisiert«, sagte Dr. Bernfeld.
»Gut.« Morus spülte die Arme ab. Zwei Schwestern standen bereit, ihn zu vermummen mit Mundschutz, Kappe, Schürze und Handschuhen. Noch während sie die Bänder in Schleifen banden, ging er zum OP-Tisch und kontrollierte die Lage. »Ganz korrekt, Bernfeld«, sagte Morus und nickte dem jungen Arzt zu. »Wieviel Nephrektomien haben Sie schon gesehen?«
»Vielleicht dreißig, Herr Professor. Die Mehrzahl bei Ihnen.«
»Dann dürften Ihnen ja die Griffe bekannt sein. Kommen Sie mal herüber und übernehmen Sie Nummer zwei.« Er wandte sich zu Oberarzt Dr. Pflüger um, der ratlos herumstand. »Man muß der Jugend eine Chance geben, Pflüger, nicht wahr? Daß Sie eine Nephrektomie wie im Lehrbuch hinlegen, weiß ich. Nehmen wir mal unseren Bernfeld in die Mitte!«
Schwester Innozenzia, die OP-Schwester, lachte Dr. Bernfeld an, als er um sie und den Instrumententisch herumging zu dem Platz, auf dem sonst der I. Oberarzt stand.
»Zeigen Sie mal, was Sie können …«, flüsterte sie und zählte dabei die Tupfer und Kompressen, die sie zurechtlegte. Die gleiche Zahl mußte nachher wieder im Eimer liegen. Bei Prof. Morus war es noch nie vorgekommen, daß man einen Tupfer in der Operationswunde verlor und später vergaß.
Dr. Bernfeld sah mit gerötetem Gesicht in die Augen von Prof. Morus, die ihn kalt über den Mundschutz hinweg musterten.
»Angst?« fragte Morus.
»Nein, Herr Professor.«
»Sie können den Platz jetzt noch räumen. Nachher ist es zu spät … nicht für den Patienten, sondern für Sie. Ich nehme an, Sie wissen, was ich meine.«
»Ja, Herr Professor.«
»Was heißt ja?«
»Ich übernehme die Zwei.«
»Also denn!« Morus streckte die Hand aus. Das Skalpell glitt zwischen seine Finger. Die Gegend um die zwölfte Rippe war braunrot durch die Jodtinktur, mit der das Operationsfeld desinfiziert worden war.
Dr. Bernfeld rekapitulierte blitzschnell, was er von einer Nierenfreilegung wußte. Resektion der zwölften Rippe – er sah zur Seite, Schwester Innozenzia hatte die Rippenschere griffbereit liegen –, ganz vorsichtiges Arbeiten, damit keine Pleuraverletzung eintrat … vom Bett
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