Männertaxi: Eine turbulente Komödie (German Edition)
von einer Wand zur anderen, vom Fußboden bis zur Decke. Ich sehe keine Tapete, nicht ein klitzekleines Fitzelchen. Nur Bücher.
»Das ist der Hammer!«
»Bücher sind mein Leben«, sagt Frau Mattheuser lächelnd, während sie an ihrem Tee nippt. »Das waren sie immer. Und nun sind sie das Einzige geblieben, was ich noch habe.«
Ich blicke sie fragend an.
»Ach, mein Kind, mein Mann ist vor zwanzig Jahren verstorben. Ich habe keine Familie mehr, keine Freunde oder Bekannte. Ich habe sie alle im Lauf der letzten Jahre verloren.« Sie schweigt einen Moment und sieht versonnen in den Flur hinüber, in dem all diese Bilder hängen, und dann zu ihrer Bibliothek. »Nun sind die Bücher meine Freunde.«
»Aber …« Hilfe, das ist so trostlos! Bücher als Freunde? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich brauche Leben, Action, Männer, Sex … aber doch keine Bücher! Okay, mit dem Sex und den Männern fange ich bei Frau Mattheuser jetzt besser nicht an. »Aber Sie brauchen doch sicher mal jemanden zum Reden, oder?«
»Ach wissen Sie, mein Kind, man gewöhnt sich mit der Zeit daran, dass niemand mehr da ist, mit dem man reden kann. Und es ist nicht so, dass es viele junge Menschen gibt, die Lust darauf haben, mit einer alten Schachtel wie mir zu sprechen.« Sie sagt das ganz freundlich, aber ich fühle mich natürlich trotzdem ertappt. »Aber das kann doch nicht gut sein!«
»Oh doch! Sie können sich gar nicht vorstellen, was mir diese Bücher geben! Sie sind voller Leben, denn in ihnen steckt das Leben der Schriftsteller. Die Liebe zum geschriebenen Wort. Und so viele Geschichten!« Sie seufzt. »Aber natürlich haben Sie auch recht. Ich … Ich habe vermutlich wirklich irgendwann angefangen, meine Bücher nicht nur zu genießen, sondern mich auch in sie zu flüchten.« Die blassblauen Augen von Frau Mattheuser glänzen feucht. Nervös faltet sie ihre Hände auf ihrem Schoß und reibt ihre Finger aneinander.
»Haben Sie keine Kinder?«, frage ich schnell, weil ich Angst davor habe, dass sie anfängt zu weinen, wenn sie nicht weiterspricht. »Wir hatten einen Sohn, Albert. Er war mein Ein und Alles. Vor allem, nachdem mein Mann starb, war er mir eine große Stütze.«
»Wo ist der jetzt?« Ich spüre, dass mein Herz klopft, weil ich Angst vor der Antwort habe.
»Er starb vor acht Jahren.«
Ich schlucke.
»Er hatte Krebs«, sagt Frau Mattheuser mit belegter Stimme. »Leukämie. Es war ein langes Leiden und ein qualvoller Tod.«
Ich habe das Gefühl, als schnüre sich mir der Hals zu. Ich hole tief Luft. »Hatte Albert Kinder? War er verheiratet?«
»Ja, das war er. Mit Sue, einer Amerikanerin. Sie haben Zwillinge, Linda und Chris. Die beiden sind jetzt zwölf Jahre alt.« Sie zeigt auf das Foto, das auf ihrem Fernseher steht: ein Mädchen mit langen blonden Zöpfen und ein Junge mit einer Basecap auf dem Kopf.
»Aber dann haben Sie ja doch noch Familie«, sage ich erleichtert. »Wie oft sehen Sie die Zwillinge?«
»Gar nicht mehr. Nach dem Tod von Albert zog Sue mit den Kindern zurück nach Amerika zu ihren Eltern. Sue ruft ab und zu an, aber ich werde die drei wohl nie wiedersehen, denn außer mir gibt es hier in Deutschland nichts mehr, was sie hierhin ziehen würde. Linda und Chris sprechen nicht einmal mehr Deutsch. Ich habe einen Kurs gemacht, um Englisch zu lernen, aber …« Ihr versagt die Stimme.
Ist das traurig! Ich sehe Frau Mattheuser auf einmal mit ganz anderen Augen. Bisher war sie für mich eine viel zu neugierige Nachbarin, die alles überwachen wollte, was im Haus passiert. Aber in Wahrheit ist sie einfach nur einsam!
»Und wenn Sie die Bücher lesen, fühlen Sie sich nicht mehr so alleine?«, frage ich zaghaft.
Frau Mattheuser laufen Tränen über das Gesicht. Ich greife in meine Hosentasche und ziehe ein unbenutztes Taschentuch hervor, welches ich ihr reiche.
»Ja, die Bücher sind mein Leben. Begleitet haben sie mich immer schon, aber vor allem in den letzten acht Jahren sind sie … meine Zuflucht geworden. Ein Leben ohne Bücher könnte ich mir nicht mehr vorstellen. Für mich sind sie wie viele tausend kleine Seelen, die ich außerhalb meines Körpers trage, um meine eigene damit zu wärmen.«
Würde ich schöne Texte sammeln, so müsste ich mir diesen Satz jetzt sofort aufschreiben, weil er so wunderschön klingt! Ich greife nach Frau Mattheusers Hand und drücke sie. Ich spüre, wie mein Herz, von dem ich so oft denke, es sei seit Tom zu Stein geworden, sich in weichen Samt
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