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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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willst, so ist sein ganzes Vermögen dein. Ist das nicht besser, denn als armer Gelehrter Hungers zu sterben?«
    Mosü war eben in äußerster Not. Als er daher diese Worte hörte, ward er hoch erfreut. Inständig bat er den Nachbarn, für ihn den Vermittler zu machen.
    Der ging hin und redete mit dem alten Bettlerfürsten. Der Bettlerfürst besprach die Sache mit Goldtöchterchen, und da Mosü aus guter Familie war und außerdem begabt und gelehrt und nichts dagegen hatte, in die Familie einzuheiraten, so waren beide über die Aussicht sehr erfreut. Sie sagten zu, und die Verlobung ward geschlossen.
    So trat Mosü in die Familie des Bettlers ein. Mosü freute sich der Schönheit seiner Frau, auch hatte er immer genug zu essen und gute Kleider anzuziehen. So fühlte er sich über Erwarten glücklich und lebte mit seiner Frau in Frieden und Freude.
    Der Bettlerfürst und seine Tochter, denen die Niedrigkeit ihrer Familie schon lang ein Dorn im Auge war, ermahnten den Mosü, doch ja recht fleißig zu studieren. Sie hofften, er werde sich einen Namen machen und so auch ihrer Familie zum Glanz verhelfen. Alte und neue Bücher kauften sie ihm zu den höchsten Preisen. Sie versorgten ihn auch immer reichlich mit Geld, damit er vornehmen Verkehr pflegen konnte. Auch für die Prüfungskosten kamen sie auf. So mehrte sich denn seine Gelehrsamkeit von Tag zu Tag, und sein Ruf erscholl in der ganzen Gegend. Er bestand in rascher Folge seine Prüfungen und ward mit dreiundzwanzig Jahren zum Standesbeamten des Kreises Wu We ernannt. Von der kaiserlichen Audienz kam er in Feiergewändern hoch zu Roß zurück.
    Mosü war aus Hangtschou gebürtig; so wußte bald die ganze Stadt, dass er mit Erfolg die Prüfung bestanden, und auf beiden Seiten der Straße drängte sich das Volk, um ihn zu sehen, wie er nach dem Hause seines Schwiegervaters ritt. Alt und jung, Weib und Kind versammelte sich, um das Schauspiel zu genießen, und ein müßiger Gaffer rief mit lauter Stimme:
    »Der Schwiegersohn des alten Bettlers ist Beamter geworden!«
    Dem Mosü stieg die Scham ins Gesicht, als er diese Rede hörte. Wortlos und mürrisch setzte er sich in sein Zimmer. Der alte Bettlerfürst aber in seiner Freude bemerkte die Missstimmung nicht. Er richtete ein großes Festmahl her, zu dem er alle seine Nachbarn und guten Freunde einlud. Die Geladenen waren aber meistens Bettler und Arme. Nun wollte er noch dazu, dass Mosü mit esse. Mit Mühe und Not ließ dieser sich überreden, aus seinem Zimmer hervorzukommen. Wie er nun aber die Gäste an der Tafel sah, zerlumpt und schmutzig wie eine Herde hungriger Teufel, da zog er sich unwillig wieder zurück. Goldtöchterchen, die merkte, wie ihm zu Mute war, suchte auf hunderterlei Weise, ihn wieder zu erheitern, aber vergebens.
    Einige Tage darauf machte sich Mosü mit Weib und Gesinde auf den Weg nach seinem neuen Amte. Von Hangtschou nach Wu We geht’s zu Wasser. So stiegen sie denn ins Schiff und fuhren nach dem Yangtsekiang hinaus. Am ersten Tag kamen sie nach einer Stadt, wo sie Anker warfen. Die Nacht war klar, und glitzernd lag der Mondschein auf dem Wasser. Mosü saß vorne im Schiff und genoß den Mondschein. Plötzlich musste er an den alten Bettlerfürsten denken. Seine Frau war wohl gut und klug; aber wenn sie ihm Kinder gebar, so waren und blieben sie eben Enkel des Bettlers, und diese Schmach ließ sich auf keine Weise abwischen. Da entstand in seinem Herzen ein Plan. Er rief Goldtöchterchen aus der Kajüte heraus, um den Mondschein anzusehen. Erfreut trat sie zu ihm. Knechte und Mägde und alle Schiffer waren längst schlafen gegangen. Er sah sich nach allen Seiten um: niemand war zugegen. Goldtöchterchen stand eben vorne im Schiff. Sie dachte an nichts Böses, als er plötzlich sie mit der Hand ins Wasser stieß. Dann stellte er sich erschrocken und begann zu schreien: ,,Meine Frau hat einen Fehltritt getan und ist ins Wasser gefallen!«
    Auf seine Worte hin standen die Diener eilig auf und wollten sie heraus fischen.
    Er aber sprach: ,,Sie ist schon von der Strömung fortgerissen, ihr braucht euch keine Mühe zu machen.« Dann befahl er schleunigst weiterzufahren.
    Wer hätte gedacht, dass ein glücklicher Zufall es wollte, dass gerade in jener Zeit Herr Hü, der Verkehrsbeamte der Provinz, ebenfalls sein Amt antrat und ebenfalls an jenem Platze ankerte. Auch er saß mit seiner Frau am offenen Fenster der Kajüte, des Mondscheins und der Kühlung zu genießen.
    Plötzlich hörten sie am

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