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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Ufer weinen, und zwar schien es ein Mädchen zu sein. Eilig sandten sie Leute zu ihrer Hilfe aus. Die brachten sie an Bord. Es war Goldtöchterchen.
    Als sie ins Wasser gefallen war, da fühlte sie etwas unter ihren Füßen, das ihr Halt gab, so dass sie nicht untersank. So ward sie von der Strömung fortgetragen dem Ufer zu. Sie kroch hinauf. Da kam es ihr zum Bewußtsein, dass ihr Mann, nachdem er vornehm geworden, seine frühere Armut vergessen hatte, und wenn sie auch nicht ertrunken war, so kam sie sich doch allein und verlassen vor, und unversehens entströmten ihr die Tränen.
    Als Herr Hü sie nun fragte, was ihr fehle, da erzählte sie ihm weinend ihre ganze Geschichte. Herr Hü sprach ihr Mut zu.
    »Du musst jetzt nicht mehr weinen,« sagte er. »Willst du meine Pflegetochter werden, so wollen wir schon für dich sorgen.«
    Goldtöchterchen verneigte sich dankend. Frau Hü aber befahl den Mägden, ihr statt der nassen Kleider andere zu geben und ihr eine Lagerstatt zu bereiten. Den Dienern wurde eingeschärft, dass sie sie Fräulein nennen mussten und keinem Menschen etwas von dem Vorfall sagen durften.
    So ging die Reise weiter, und nach ein paar Tagen trat Herr Hü sein Amt an. Wu We, wo Mosü Standesbeamter war, gehörte zu seinem Amtsbereich, und dieser kam denn auch, um seinen Vorgesetzten zu besuchen. Als Herr Hü den Mosü sah, da dachte er bei sich: »Wie schade, dass ein so begabter Mensch sich so herzlos benommen hat.«
    Als einige Monate vorüber waren, sprach Herr Hü zu seinen Untergebenen: »Ich habe eine Tochter, die ist recht hübsch und gut, und ich möchte einen Schwiegersohn, der in meine Familie einheiratet. Wisst ihr niemand, der sich dafür eignet?«
    Die Untergebenen wußten alle, dass Mosü jung war und seine Frau verloren hatte. So empfahlen sie denn einmütig ihn.
    Herr Hü antwortete: »Ich habe auch schon an den Herrn gedacht, doch ist er jung und hat es rasch zu etwas gebracht; ich fürchte, er hat sich höhere Ziele gesteckt und ist nicht gewillt, als Schwiegersohn in meine Familie einzuheiraten.«
    »Er ist von Hause aus arm«, erwiderten die Leute, »und ist Euer Untergebener. Wenn Ihr ihm diese Freundlichkeit erweisen wollt, so wird er sicher freudig damit einverstanden sein und sich nicht an dem Einheiraten stoßen.«
    »Wenn ihr alle meint, dass es sich machen läßt,« sagte Herr Hü, »so geht bitte einmal hin und forscht nach, wie er darüber denkt! Aber ihr dürft nicht sagen, dass ich euch geschickt habe.«
    So kamen sie denn zu Mosü und erzählten ihm: »Der Herr Hü hat eine Tochter und sucht einen Schwiegersohn, der in die Familie einheiratet.«
    Mosü, der eben darauf bedacht war, sich bei Herrn Hü gut dran zu machen, ging mit Freuden darauf ein und bat sie inständig, die Vermittlung in der Sache zu übernehmen, indem er ihnen reichen Lohn versprach, wenn die Verbindung zustande komme.
    So kamen sie denn wieder zurück und berichteten es dem Herrn Hü.
    Der sprach: »Ich freue mich sehr, dass jener Herr die Heirat nicht verschmäht. Aber ich und meine Frau sind rein verliebt in diese Tochter; wir können uns kaum entschließen, sie aus der Hand zu geben. Herr Mosü ist jung und vornehm, und unser Töchterchen ist recht verwöhnt. Wenn er sie nicht gut behandelt oder es sich später etwa einmal gereuen ließe, dass er in eine andere Familie eingeheiratet hat, so würden ich und meine Frau untröstlich darüber sein. Darum muss alles vorher klar ausgemacht werden, und erst wenn er sich ausdrücklich daraufhin verpflichtet, kann ich ihn in meine Familie aufnehmen.«
    Die Leute hinterbrachten dem Mosü alle diese Bedingungen, und er erklärte sich zu allem bereit. Dann brachte er Gold und Perlen und bunte Seide als Brautgeschenke dar. Darauf wurde ein günstiger Tag für die Hochzeit ausgewählt.
    Herr Hü beauftragte seine Frau, mit Goldtöchterchen zu reden.
    »Dein Vater«, sprach sie, »hat Mitleid mit dir, dass du so verlassen bist, deshalb hat er einen jungen Gelehrten für dich ausgesucht.«
    Aber Goldtöchterchen sagte: »Ich bin zwar von niedriger Herkunft; aber ich weiß doch, was sich schickt. Ich habe nun einmal mit Mosü den Bund fürs Leben geschlossen. War er auch lieblos gegen mich, ich will doch bis zum Tode keinem anderen angehören. Ich bringe es nicht fertig, einen anderen Ehebund zu schließen und die Treue zu brechen.«
    Nach diesen Worten fiel ein Tränenregen aus ihren Augen. Als Frau Hü sah, dass sie in ihrem Entschluss nicht wankend zu

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