Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
unterdrücken. Doch kaum hatte sie Wu gegrüßt, da kehrte sie auch schon wieder um und brach in ihrem Zimmer wieder in lautes Lachen aus, dass alle in dem Hause darob verwundert waren.
Wu ging aus, der Sache nachzuforschen. Er suchte nach dem Dorf und nach dem Grab der Tante Tsin; doch fand er weder Dorf noch Grab. Dann kehrte er zurück. Die Mutter fürchtete, sie sei vielleicht ein Geist. Sie ging zu ihr hinein und sagte ihr von Wus Erzählung. Ying Ning aber zeigte keine Angst; sie war auch nicht gerührt, weil sie nun keine Heimat habe, sondern immer und zu allem lachte sie voll Übermut.
Sie kam an jedem Morgen früh zum Bett der Mutter, um sie zu begrüßen; sie war flink in jeder Handarbeit. Nur war sie stets dem Lachen nah, und ob man es ihr auch verbot, sie konnte es nicht lassen. Freilich war ihr Lachen hübsch: sie lachte toll, doch tat es ihrer Anmut keinen Eintrag. Ein jeder hatte sie darum auch lieb, und in der Nachbarschaft die jungen Frauen und die Mädchen stritten sich, von ihr besucht zu werden. So wählte denn die Mutter einen Tag, der Glück verhieß, um da die Hochzeit abzuhalten. Weil sie aber fürchtete, es wäre am Ende doch ein Geisterwesen, so beobachtete sie sie heimlich in der Sonne. Der Schatten war aber durchaus nicht schwach, nicht anders als gewöhnlich. So kam der Hochzeitstag. Sie hatte prächtige Gewänder angelegt und war bereit zur Trauungszeremonie. Doch als es anfing, fing sie neuerlich zu lachen an und konnte keinerlei Verbeugung machen, so dass man die Feierlichkeit kürzen musste.
Jedesmal, wenn die Mutter trübe oder voller Ärger war, kam und lachte sie und vertrieb alle üble Laune. Hatten in dem Haus die Mägde etwas angestellt und fürchteten sie Schläge, so kamen sie zu ihr und baten um ein gutes Wort bei ihrer Schwiegermutter, dann geschah ihnen kein Leid. Sie hatte eine Liebe zu den Blumen, wahrhaft voller Leidenschaft. In der Verwandtschaft bat sie überall darum; ja sie versetzte sogar ihre goldenen Spangen, um dann besonders schöne Arten einzukaufen. Nach wenig Monaten war alles voller Blumen, Gartenwege und Treppenstufen, dass es keinen Platz mehr ohne Blumen gab. Eine starke Kletterrose war hinter dem Haus unmittelbar am Nachbargarten. Oft stieg Ying Ning da hinauf, um Blüten abzubrechen für ihr Haar. Eines Tages sah sie dort der Nachbarsohn und starrte unverwandten Blicks nach ihr. Sie wich dem Blick nicht aus; sie lachte noch dazu. Der Nachbar meinte, dass sie einverstanden sei, und so schwoll ihm das Herz noch mehr. Sie deutete auf einen Platz dort unten an der Mauer und stieg dann herab; der Nachbar aber dachte an ein Stelldichein und kam bei Dämmerung erfreut dahin. Er sah sie auch und ging nun auf sie zu; mit einem lauten Aufschrei aber taumelte er zurück: Es war nicht Ying Ning, es war der Schimmer eines faulen Baumes nur, und ein Skorpion in einem Astloch hatte ihn dort gestochen. Der alte Nachbar kam herbei und seine Frau, die fragten ihn, und er erzählte alles; aber in derselben Nacht noch musste er sterben. Da verklagten denn die Nachbarsleute Wang, weil er mit Ying Ning Hexenkünste treibe. Der Beamte aber wußte, dass Wang ein ehrbarer Gelehrter war. Deshalb erklärte er die Klage seines Nachbars für Verleumdung und wollte ihn zur Strafe prügeln lassen. Weil sich aber Wang für ihn verwendete, entließ er ihn. Wangs Mutter aber sprach zu Ying Ning: ,,Du mit deinem kecken Wesen! Ich hab’s wohl gewußt; Übermut tut niemals gut. Der Richter ist von klarem Geist, so sind wir noch verschont geblieben. Aber war er dumm, es hätte sicher Weib und Kind nun öffentlich vor dem Gerichte Zeugnis geben müssen. Mit was für einem Antlitz hätte dann mein Sohn vor die Verwandten treten müssen?« Da sah nun Ying Ning ernst drein und lachte nicht mehr wieder. Die Mutter sagte zwar, sie müsse nicht vom Lachen völlig lassen, nur zu seiner Zeit; aber Ying Ning lachte nicht mehr wieder, auch wenn man sie lachen machen wollte. Trotzdem aber ließ sie auch den Kopf nicht hängen.
Eines Abends saß sie ihrem Manne gegenüber, und es rollten ihr die Tränen nieder. Auf seine Frage sagte sie ihm mit erstickter Stimme: »Wenn ich denke, dass ich erst so kurze Zeit bei dir bin, dürfte ich es wohl nicht sagen; denn du könntest ja erschrecken oder Anstoß nehmen. Aber weil ich sehe, dass ihr beide, du und deine Mutter, mich so lieb habt ohne Rückhalt, hoffe ich, dass es nichts tut, wenn ich nun offen mit dir spreche: Ich bin wirklich einer Füchsin Kind.
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