Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
übersprang; Tische, Betten, alles war verbrannt.
Siä ergrimmte darob, ging in den Tempel, um sich zu beklagen: »Eine Tochter aufziehen, die ihren Schwiegereltern nicht zu Gefallen ist, zeigt, dass man keine Zucht im Hause hat. Und nun bestärkt Ihr sie sogar in ihren Fehlern. Man sagt, die Götter seien höchst gerecht. Gibt es auch Götter, die die Menschen lehren, ihre Frau zu fürchten? Außerdem, die ganze Streiterei ging nur von mir allein aus. Meine Eltern hatten nichts damit zu tun. Gebührte Beil und Säge mir, gut, Ihr konntet es mir selbst zufügen. Aber Ihr habt es nicht so gemacht. So will ich denn auch Euer Haus verbrennen, um mir die Befriedigung der Rache zu verschaffen.«
Nach diesen Worten häufte er Brennholz vor dem Tempel zusammen, schlug Feuer und wollte es anstecken. Die Nachbarn strömten herzu und machten ihm Vorstellungen. Da fraß er seinen Zorn in sich hinein und ging nach Hause.
Als seine Eltern davon hörten, entfärbten sie sich vor großer Furcht. Zur Nachtzeit aber erschien der Gott den Leuten in dem Nachbardorf und befahl ihnen, das Haus seines Eidams wieder aufzubauen. Als es Tag ward, schleppten sie Bauholz an, und es drängten sich die Arbeiter. Und alle fingen an, für Siä zu bauen. Was er auch sagte, sie ließen sich nicht abhalten. Den ganzen Tag waren fortwährend Hunderte von Arbeitern unterwegs. Und nach ein paar Tagen waren alle Räume wieder neu gebaut, alle Geräte, Vorhänge und Möbel standen vollzählig da. Und als die Arbeit fertig war, da war auch die Prinzessin wiedergekommen. Sie stieg zum Saal empor und bekannte ihre Schuld mit vielen zärtlichen und liebreichen Worten. Dann wandte sie sich zu Siä Kung-Schong und lächelte ihm seitwärts zu. Im ganzen Haus war statt des Grolls die Freude eingekehrt. Und seitdem war die Prinzessin besonders friedfertig. Zwei Jahre vergingen, ohne dass ein böses Wort gefallen wäre.
Die Prinzessin verabscheute aber gar sehr die Schlangen. Einst tat zum Scherze der junge Siä ein kleines Schlänglein in ein Päckchen. Das gab er ihr und hieß sie es öffnen.
Sie wurde blaß und machte ihm Vorwürfe. Da wurde auch bei Siä Kung-Schong aus dem Scherze Ernst, und es gab böse Worte.
Endlich sprach die Prinzessin: »Diesmal will ich nicht warten, bis ich verstoßen werde. Nun ist es endgültig aus.« Damit ging sie zur Tür hinaus.
Der Vater Siä geriet in große Angst und züchtigte den Sohn selbst mit dem Stabe und bat den Gott um gütiges Verzeihen. Zum Glück folgte nichts Böses. Alles blieb still und ohne Laut.
So verging über ein Jahr. Siä Kung-Schong sehnte sich nach der Prinzessin und ging ernstlich in sich. Im Geheimen schlich er sich in den Tempel des Gottes und klagte um die Prinzessin. Aber da war keine Stimme noch Antwort. Bald darauf hörte er auch noch, dass der Gott seine Tochter einem anderen Manne verlobt habe. Da verlor er im Herzen die Hoffnung und suchte auch eine neue Verbindung einzugehen. Doch fand er trotz allen Suchens keine, die der Prinzessin gleichgekommen wäre. So mehrte sich denn seine Sehnsucht nach ihr. Er ging in das Haus Yüan, wohin sie, wie es hieß, versprochen worden. Da hatten sie schon die Wände gestrichen und den Hof gekehrt, und alles war zum Empfang des Brautwagens vorbereitet. Reue und Unwille übermannten ihn. Er aß nicht mehr und wurde krank. Seine Eltern waren ganz betäubt von der Sorge um ihn, unfähig, einen Rat zu ersinnen.
Plötzlich fühlte er mitten in seinem Hindämmern, wie jemand ihn streichelte und sprach: »Wie steht’s mit unserm rechten Mann, der durchaus seine Frau verstoßen wollte?«
Er tat die Augen auf, da war es die Prinzessin.
Voll Freude sprang er empor und sprach: »Wie kamst du nur wieder?«
Die Prinzessin antwortete: »Eigentlich hätte ich nach deiner Art, die Leute schlecht zu behandeln, meines Vaters Befehl gehorchen und einen anderen nehmen sollen. Tatsächlich lagen auch schon lange die Brautgeschenke der Familie Yüan bei uns im Haus. Aber ich sann und sann und konnte es nicht über mich bringen. Für heute abend war die Hochzeit festgesetzt, und mein Vater hielt es für eine Schmach, das Brautgeschenk zurückzubringen. Ich nahm die Sachen selbst und stellte sie ihnen vor die Tür. Als ich herauskam, lief mein Vater neben mir her. ,Verrückte Dirne,‹ sagte er, ,dass du nicht auf meine Worte hörst! Wenn dir bei den Siäs es künftig wieder schlecht ergeht, so frag ich nichts danach. Mögen sie dich totmachen, heim kommst du mir nicht
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